Oberstdorf: Was lässt Norwegen dem Rest der Welt übrig?
Am Donnerstag werden die ersten Medaillen bei der Nordischen Ski-Weltmeisterschaft 2021 vergeben. Oberstdorf, der südlichste Ort Deutschlands, im WM-Fieber? Nein. Corona hat den Allgäuern die WM-Freude getrübt, Zuschauer dürfen keine kommen, die Weltmeisterschaft wird mehr oder weniger stimmungslos abgewickelt. Dabei gab es durchaus Vorfreude. Was war das für ein Jubel, als 2016 in Mexiko endlich Oberstdorf den Zuschlag für die WM 2021 erhielt. Vier Anläufe davor waren vergeblich gewesen, obwohl der Wintersportort mit einem beachtlichen Pfund wuchern konnte: Die Austragungen 1987 und vor allem 2005 waren perfekt, eine bessere Bewerbung gibt es nicht. Damals feierten 350.000 Besucher im 10.000-Einwohner-Ort, die WM-Bar mittendrin war über 200 Meter lang. „Das war die schönste WM“, erinnert sich Hermann Weinbuch, Bundestrainer der Kombinierer.
Und jetzt das. Keine Zuschauer, kein Trubel, nur ein bisschen Jubel von den Betreuern für die Athleten. Statt der Vorfreude gab es eher Vorärger, weil manche im Ort den Sinn nicht mehr verstehen und Angst davor haben, dass die 4500 Athleten, Betreuer und Funktionäre das Virus Covid-19 mit Anhang einschleppen. Jetzt gilt es, das Beste aus der Situation machen, viel Geld wurde ausgegeben, die Hoffnung liegt beim Fernsehen. Schöne Bilder von den Wettbewerben und vor allem von der Landschaft sollen in die Welt gehen und Werbung für den durch das Skispringen weltweit bekannten Ort machen. Zugleich hoffen die Oberstdorfer auch auf eine Wiedergutmachung vom Ski-Weltverband, der ihnen als Augleich die WM 2027 schenken soll, die bisher noch nicht vergeben ist.
Dennoch tun die Organisatoren in Oberstdorf natürlich alles dafür, dass die Weltmeisterschaft ein Erlebnis für alle wird, beste Bedingungen wurden geschaffen, auch wenn die starke Frühlingssonne derzeit den Schnee schmelzen lässt. Allein das Langlaufzentrum wurde für 40 Millionen Euro modernisiert, eine Investition für die Zukunft, auch für Freizeitsportler. Bund und Land haben sich an den Kosten beteiligt.
Muss nur noch der sportliche Ertrag stimmen. Die erste Frage lautet dabei allerdings: Was lässt Norwegen dem Rest der Welt übrig? Vor zwei Jahren in Seefeld holten die Skandinavier 13 der 22 Goldmedaillen, Deutschland war mit sechs über die Maßen erfolgreich, nur für Schweden (2) und Polen (1) fiel noch etwas ab. Auch diesmal sind die Norweger dominant, sie beherrschen das Skispringen der Herren und die Nordische Kombination, während im Langlauf die Konkurrenz größer ist. Dort könnten auch die Russen auftrumpfen, sie sind stark, vielleicht auch nur stark gedopt (das Misstrauen bleibt immer). Als Mannschaft gibt es Russland wegen der Doping-Bestrafung nicht.
Deutschland gibt es als Mannschaft, wie stark wird sie sein? Sie sollten sich an den alpinen Skisportlern orientieren, die kürzlich bei ihrer WM in Cortina d’Ampezzo positiv überraschten. Vier Medaillen waren mehr als erwartet. Vier Medaillen wären den Nordischen natürlich zu wenig, aber von sechs Goldmedaillen können sie nur träumen. Immer stehen die Norweger im Weg. Beim Skispringen dominierte Halvor Egner Granerud, in der Nordischen Kombination war Jarl Magnus Riiber schier unschlagbar. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Auf den Schanzen wollen Markus Eisenbichler (Zweiter im Weltcup) und Karl Geiger (10.) mitmischen. Vor allem der Oberstdorfer Geiger will auf seinen Heimschanzen den Sieg von der Vierschanzen-Tournee wiederholen. Aus einem Tief hatte er sich zuletzt wieder ein wenig erholt.
Immer für Medaillen gut sind die Mannschaften. Vor allem das Sprung-Mixed-Team mit zwei Männern und Frauen war bei den letzten drei Titelkämpfen nicht zu schlagen! Und auch im ersten Teamwettbewerb der Frauen vor zwei Jahren siegte Deutschland. Doch die deutschen Mädchen, die zum Beispiel 2014 in Sotschi bei der olympischen Premiere mit Carina Vogt die erste Olympiasiegerin stellten, kommen diesem Winter nicht in Schwung. Eher ist Fehlersuche als Medaillensuche angesagt, Katharina Althaus (Oberstdorf) ist als Zehnte im Weltcup bestplatzierte Deutsche. Ein stark ausgedünnter Terminplan mit vielen Pausen machte ihnen zu schaffen, der Rhythmus fehlt. Aber vielleicht platzt ausgerechnet bei der WM der Knoten.
Die Kombinierer haben ihre einstige Vormachtstellung eingebüßt. Sie sind vorn dabei, aber nur selten ganz vorn, die Formkurve jedoch stimmt. Entscheidend werden für Vinzenz Geiger, Eric Frenzel und Fabian Rießle als die formstärksten Athleten vor allem die Springen sein. Da holte Dominator Riiber immer schon den entscheidenden Vorsprung für den Langlauf. Siegchance gibt es dann eher in den Team-Wettbewerben. Nur dabei in der Nordischen Kombination sind auch die Damen, allerding ist es noch ein exotischer Wettbewerb, es gar erst einen Weltcup. Jenny Nowak (Schland) wurde 13. Da fehlt noch ein bisschen was für Gold. Die Ungewissheit ist hier am größten.
Von insgesamt diesmal 24 Goldmedaillen werden allein 12 im Langlaufen vergeben. Alle möglichen Wettbewerbe werden da hineingepackt, die deutschen Damen und Herren werden aber eher zu den zählen, die das Feld von hinten anschauen. Eine Medaille wäre eine Sensation und am ehesten noch der Damen-Staffel zuzutrauen. Allein Katharina Hennig aus Oberwiesenthal mischte manchmal vorne mit und könnte für eine Überraschung sorgen.
Schade, Fans werden sie in der Loipe nicht antreiben, werden an den Schanzen nicht für Aufwind sorgen. Aber so ist es in Corona-Zeiten, alle hoffen nur auf bessere Zeiten. Die Oberstdorfer wollen aber alles tun, dass die WM in guter Erinnerung bleibt. Und hoffen auf 2027 – dann mit Zuschauern.