Die Nachspielzeit macht den Fußball verrückt
„Ein Spiel dauert 90 Minuten“ hieß einst die Regel im Fußball. Heute weiß keiner mehr, wie lange ein Spiel dauert, die Nachspielzeit wird unendlich ausgedehnt, die Spielverzögerungen der Aktiven, die Verletzungen vortäuschen, sind ätzend, so muss man heute auf 120 Minuten Fußball gefasst sein. In der Nachspielzeit wird das Geschehen dann allerdings gerne auf den Kopf gestellt. Das Wochenende der Entscheidungen machte deutlich: Die Nachspielzeit macht den Fußball verrückt!
Blickpunkt Köln: Die Bayern brauchen keine Nachspielzeit, Jamal Musiala schießt den Siegtreffer zum 2:1 in der 89. Minute, nachdem er vier Minuten vorher erst aufs Feld kam. Nachspielzeit fünf Minuten, danach jubeln die Bayern, brechen aber abrupt ab, weil sie feststellen, in Dortmund wird noch gespielt. Dort hatte man später angefangen und die Borussia hat sich noch nicht aufgegeben. Dortmund nutzt die Nachspielzeit, in der 96. Minute erzielt Süle das 2:2 – noch ein Tor und Dortmund ist Meister. Es fällt aber nicht, trotz einer großen Chance. Die Bayern feiern, die Borussia trauert. Trauriger Held: Haller verschießt einen Elfmeter.
Blickpunkt Stuttgart/Mönchengladbach: In Gladbach verliert der FC Augsburg mit 0:2 und muss um den Klassenerhalt zittern. In Stuttgart wird noch gespielt, dem VfB reicht ein 1:1 gegen Hoffenheim nicht, es gibt Nachspielzeit. Der FCA bangt und hofft, doch Endo und Tomas treffen nicht, der FCA bleibt drin, der VfB muss in die Relegation. Doch wer ist der Gegner?
Blickpunkt Regensburg/Sandhausen: Auch in der zweiten Liga wird unterschiedlich lang gespielt. So ist der HSV in Sandhausen früher fertig, siegt 1:0 und ist Zweiter, weil Konkurrent Heidenheim in Regensburg 1:2 zurück liegt. Die Fans strömen auf den Platz, feiern den Aufstieg, weil fälschlicherweise das Ende in Regensburg verkündet wird. Doch dort gibt es mehr als elf Minuten Nachspielzeit. Heidenheim muss gewinnen und macht die Sensation perfekt: In der 93. Minute verwandelt Beste einen Foulelfmeter zum 2:2, in der 99. Minuten (!) macht Torjäger Kleindienst das 3:2 und schießt Außenseiter Heidenheim in die Bundesliga! Der HSV wird Gegner des VfB. Heidenheim feiert am Montag dann das „Wunder“ im eigenen Stadion. Trainer Frank Schmidt führte den Verein von der Oberliga bis in die Bundesliga!
Blickpunkt Osnabrück: Nach 90 Minuten steht Wehen-Wiesbaden auf einem Aufstiegsplatz in die 2. Bundesliga, hinter Elversberg. Doch in Niedersachsen spielt der Fußball auch verrückt. Osnabrück nutzt die Nachspielzeit, ein Doppelpack in der 94. und 96. Minute bringt die Wende, macht aus einem 0:1 gegen Dortmund II ein 2:1 und damit ziehen die Schützlinge von Weltmeister-Bruder Tobias Schweinsteiger an den Hessen vorbei – bei Punktgleichheit mit einem Tor besser! Wehen muss in die Relegation gegen Bielefeld um den Platz in die 2. Bundesliga. Der Fußball kann grausam und spannend sein.
Bayern feiert und feuert, der Pott trauert
Es ist nicht zu fassen, die Bayern haben wirklich den 11. Titel in Folge geholt. Wenn nicht jetzt, wann dann wollen die Dortmunder diese Erfolgsserie beenden. Alles sprach für die Borussia, in Dortmund wurde schon am Vormittag gefeiert, 200.000 freuten sich auf die Schale, doch auf dem Spielfeld wurden die Beine der Stars schwer. Gegner Mainz, zuletzt fünfmal nicht erfolgreich und auswärts schwach, hatte frische Beine und ging sensationell innerhalb von 24 Minuten mit 2:0 in Führung. Dazu kam die Kunde vom Tor der Bayern in Köln – Dortmund war nur noch Zweiter und schaffte den Umschwung nicht, schenkte den Münchnern quasi den Titel.
In München stand aber nicht das Feiern im Mittelpunkt, sondern das Feuern. Während des Spiels in Köln und offiziell nach dem Match wurde bekannt, dass die Bayern Boss Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic vorher schon entlassen hatten! „Es war unbedingt notwendig,“ heißt es beim Aufsichtsrat, der per Videoschaltung diese Entscheidung getroffen hatte. Im Hintergrund wirkte dabei Uli Hoeneß, der Befürworter von Kahn und Brazzo, der jetzt sagt, die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. So ging eine chaotische Saison chaotisch zu Ende und dass dennoch die Meisterschaft errungen wurde, ist fast ein Wunder.
Eine gute Figur gab die Bayern-Führung sicherlich nicht ab, aber sie entschied zweifellos richtig. Kahn wurde vorgeworfen, dass er keinen Draht zu den Mitarbeitern fand, außerdem umgab er sich mit Beratern, die für schlechte Stimmung im Verein sorgten. Salihamidzic zeigte ebenso menschliche Schwächen, wie der Knatsch mit Hansi Flick und Hermann Gerland zeigte. Fehler waren auch seine Verpflichtungen von Mané und Trainer Julia Nagelsmann, vor allem dessen lange Vertragslaufzeit von fünf Jahren. Kahn und Salihamidzic reagierten auch nicht rechtzeitig, als sich Probleme mit Nagelsmann und der Mannschaft ergaben.
Jetzt soll das „mia san mia“ und das Familiäre, das die Bayern auszeichnete, wieder zurückkehren. Der bisherige Finanzvorstand Jan-Christian Dreesen, der den Verein eigentlich nach zehn Jahren verlassen wollte (u. a. wegen Kahn) und Wert auf ein gutes Betriebsklima legt, wurde als neuer CEO berufen, so dass keine Vakanz entsteht. Dreesen, Präsident Herbert Hainer, Uli Hoeneß und dazu der frühere Boss Karl-Heinz Rummenigge sowie Trainer Thomas Tuchel werden sich um die Zukunft kümmern. Rummenigge soll in den Aufsichtsrat aufrücken und bei der Suche nach einem neuen Sportdirektor helfen, Tuchel muss vorerst auf seinen Urlaub verzichten und wird sich um eine Verstärkung der Mannschaft kümmern. Die Bayern wollen so ein Jahr der Enttäuschung und Unruhe nicht mehr erleben und wieder zu alter Stärke und Reputation finden.
Der Pott dagegen trauert. Fassungslosigkeit und Tränen in Dortmund, mit dem Schlusspfiff war plötzlich Ruhe im Hexenkessel des Stadions. Gleichzeitig war der Abstieg von Schalke 04 perfekt, wobei die Knappen diesmal erhobenen Kopfes und geordnet ins Unterhaus gehen. Dort wollen sie ebenso angreifen, wie die Borussia die Bayern: „Wir geben nicht auf, wir werden unsere Chance nutzen“, macht man sich selbst Mut. Die größte Chance wurde aber wohl nicht genutzt.
Ihre Chancen genutzt haben RB Leipzig und Union Berlin, die beide in der Champions League vertreten sind. Vor allem Union war ein Gewinner der Saison, die Ruhe um Trainer Urs Fischer war das Gegenteil zum Theater in München. Erstaunlich, wie Union Jahr für Jahr von der Conference League über die Europa League bis jetzt zur Champions League aufstieg. Leidtragender war der SC Freiburg, der in Frankfurt 1:2 verlor, aber für die Schwarzwälder ist die Europa League ein Erfolg. Frankfurt und Leverkusen haben Europa sicher, wo, entscheidet das Pokalfinale. Großer Verlierer war der VfL Wolfsburg, der mit der 1:2-Niederlage gegen Absteiger Hertha aus dem Europa-Rennen ausschied.
Frauen feiern mit den Männern
Weniger überraschend als der Titel bei den Männern kam die Meisterschaft für die Frauen des FC Bayern München. Sie mussten gegen Absteiger Turbine Potsdam gewinnen und stellten schon nach vier Minuten die Weichen. Am Ende stand es 11:1, die Schale gehört zum fünften Mal den Bayern, sie lösten damit den VfL Wolfsburg als Titelträger ab. Die Bundesliga-Stars des Vereins saßen auf der Tribüne und standen dann den Mädchen Spalier. Gemeinsam wurde danach vor rund 10.000 Fans auf dem Rathausbalkon am Marienplatz gefeiert. Ein Traum vor allem für die Frauen, die vier Spielerinnen verabschiedeten (u. a. Torschützing Kumagai), vor allem aber auch die langjährige Managerin Karin Danner. Und das in Ruhe! Nachfolgerin wird Bianca Rech, bisher rechte Hand, die die Mannschaft weiter verstärken will. Aus Hoffenheim kommt Katharina Naschenweng und in den Medien wird gemunkelt, dass zwei Weltstars von Chelsea London den Weg nach München finden werden: Die Schwedin Magdalena Eriksson und die Dänin Pernille Hader, die beide ein Paar sind.
Hinter den Münchnerinnen landeten der VfL Wolfsburg und Eintracht Frankfurt, die beide ebenfalls für die Champions League qualifiziert sind. Absteigen müssen der SV Meppen und Turbine Potsdam. Mit RB Leipzig und dem 1. FC Nürnberg haben Frauen-Teams aus prominenten Vereinen den Aufstieg geschafft, was der Frauen-Bundesliga weiter Auftrieb geben sollte.
Die Zeit der Finals
Die Punktrunden sind beendet, aber mit dem Fußball ist es noch lange nicht vorbei. Jetzt beginnt die Zeit der Finals. Bereits am Mittwoch macht das Endspiel in der Europa League den Anfang, in Budapest stehen sich Rekordsieger FC Sevilla und der AS Rom gegenüber. Deutsche Teams sind in Europa nicht mehr vertreten, deshalb steht am Samstag das Pokalfinale in Berlin im Mittelpunkt. Titelverteidiger RB Leipzig hat sich wieder qualifiziert und trifft diesmal auf Eintracht Frankfurt, ein Team, das Finals mag und nach dem Gewinn der Europa League nach dem nächsten Pokal greift. Erstaunlich, dass der sportliche Erfolg stimmt nach dem Theater mit Trainer Oliver Glasner, der den Verein nach diesem Endspiel verlassen wird. Gibt es ein Abschiedsgeschenk?
Aus deutscher Sicht wird der Samstag wieder zu einem Fußballtag, den vor dem DFB-Pokalfinale kämpfen die Frauen des VfL Wolfsburg um die Krone in der Champions League. Gegner um 16.00 Uhr in Eindhoven ist der FC Barcelona, der als Favorit gilt, im Vorjahr aber Olympique Lyon unterlag. Wolfsburg hatte zuletzt 2014 die CL gewonnen, der letzte deutsche Sieger war ein Jahr später der 1. FFC Frankfurt (heute Eintracht).
Die nächsten Finals sind am 7. Juni in Prag das Endspiel in der Conference League zwischen West Ham United und dem AC Florenz sowie zum Abschluss am 10. Juni in Istanbul das große Duell zwischen Manchester City und Inter Mailand in der Champions League. City kann schon diesen Samstag in Wembley einen Pokal holen, nämlich den FA-Cup. Gegner ist Lokalrivale Manchester United. Das Triple ist für City und Pep Guardiola also möglich.
„Endspiele“ sind eigentlich auch die Prüfungen in der Relegation. Um den Platz in der Bundesliga kämpfen bereits am Donnerstag in Stuttgart der VfB und der Hamburger SV, das Rückspiel folgt am Montag, 5. Juni. Um den Platz in der 2. Bundesliga geht es am Freitag für Wehen-Wiesbaden und Arminia Bielefeld, das Rückspiel ist am 6. Juni.
Sensation im Eishockey
Gefeiert wurde nicht nur im Fußball. Eine Sensation gab es im Eishockey, die deutsche Mannschaft gewann Silber bei der Weltmeisterschaft in Finnland und Lettland. Im Endspiel unterlag Deutschland zwar Rekord-Weltmeister Kanada mit 2:5, aber erstmals nach 70 Jahren gab es wieder Silber! Es war also ein erfolgreicher Einstand für den neuen Bundestrainer Harold Kreis, den niemand erwartet hatte. Damit rückte Deutschland auf Platz fünf der Weltrangliste vor und hat sich für die Olympischen Winterspiele 2026 in Mailand qualifiziert. Torjäger JJ Peterka wurde zudem zum besten Stürmer des Turniers gewählt. Die Mannschaft wurde bei ihrer Ankunft in Deutschland am Montag entsprechend gefeiert, u. a. in München warteten über 100 Fans auf die Eis-Cracks.
Ob Fußball-Bundestrainer Hansi Flick mit seinem Team nächstes Jahr bei der Europameisterschaft auch so erfolgreich sein kann? Am Freitag will er jedenfalls das Aufgebot für die nächsten Länderspiele im Juni bekannt geben. Mal sehen, wie sich das Chaos in München bzw. die anderen Platzierungen auf seinen Kader auswirken.