Der Seriensieger Bayern wird zur Baustelle

Viele hatten vor der Saison 2020/21 gewarnt, in die der FC Bayern München als gefeierter Triple-Sieger nach dem Gewinn von Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League gegangen ist. „Das lässt sich nicht wiederholen“, wussten die einen, „die Mannschaft halte das nicht durch, weil es keine gezielte Saisonvorbereitung gegeben habe“, warnten die anderen. Mit dem Ausscheiden im Viertelfinale der Champions League 2021 konnten sich beide bestätigt fühlen. Inzwischen hatte der FC Bayern einen Sixpack an Titeln eingesammelt, aber der Seriensieger war am Ende seiner Kräfte, verzweifelte daran, dass das Schicksal zudem zugeschlagen hatte. Die Stützen Lewandowski und Goretzka verletzt, Flügelflitzer Gnabry in Quarantäne, da fehlte Entscheidendes zum schwungvollen und bewunderten Triple-Sieger des Vorjahres. Erhobenen Hauptes können die Münchner die Europas Bühne verlassen, außer Real Madrid hat noch niemand eine erfolgreiche Titelverteidigung geschafft, sie gehen auch nicht geschlagen, dem 2:3 vom Hinspiel folgte ein 1:0-Sieg in Paris, bei 3:3 zählten die Auswärtstore. Verspielt wurde das Weiterkommen in München.

Die Gründe des Ausscheidens sind offensichtlich: Die Achse im Spiel war auseinandergerissen. Neuer-Alaba-Kimmich-Müller-Lewandowski waren der Halt. Plötzlich gab es Lücken, der Torjäger fehlte sowieso, Alaba musste für Gorotzka ins Mittelfeld, die Statik stimmte nicht mehr, dazu kamen müde Beine und Formverfall verschiedener Recken (Davies eklatant, zum Teil Pavard). Das kraftraubende Pressing Flicks konnte nicht mehr umgesetzt werden, es fehlte die Grundlage zu einem erneuten Triumph, zumal die personelle Ausgangslage sowieso schlechter war: Vor allem die Abgänge von Thiago, Coutinho und Perisic konnten nicht gleichwertig ausgeglichen werden.

Noch problematischer sieht es in diesem Sommer aus. Der Seriensieger wird zur Baustelle, denn mit Jerome Boateng, David Alaba und Javi Martinez verlassen verlässliche Stützen der vergangenen Jahre den Verein und es sieht nicht so aus, als ob es den Bossen, allen voran Sportvorstand Hasan Salihamidzic, gelingen könnte, alle Baustellen zu schließen. Gut, Alaba verlangte in Corona-Zeiten zu viel Geld, der Verein kann sich das nicht mehr leisten, Martinez will seine Karriere in der Heimat ausklingen lassen, aber der Abgang von Boateng ist unnötig, wurde undiplomatisch inszeniert und ist deshalb ärgerlich. Zum Abschied zeigte der Abwehrspieler noch Weltklasseleistungen. Neuzugang Dayot Upamecano vom RB Leipzig kann nur eine Lücke füllen, Lucas Hernandez hat die Qualität für Stabiltät, aber der Umbruch birgt auch die Gefahr des Einbruchs. Will der FC Bayern weiter erfolgreich sein, muss gleichwertiger Ersatz her, keine Bankdrücker. In Paris fehlten außer Martinez und Musiala die Alternativen auf der Bank. Das zeigte sinnbildlich: der Seriensieger ist eine Baustelle.

Die größte Baustelle ist aber die Position des Trainers und sie könnte für den ganzen Verein zu einer Zerreißprobe werden. Hansi Flick hat sich jetzt in einem langen Monolog vor den TV-Kameras geäußert, aber keine Antwort geliefert. Er scheint selbst hin- und hergerissen zwischen Bayern und der Aussicht Bundestrainer zu werden. Die Bayern werden ihn zum Bleiben nicht zwingen können. Ein Gespräch mit dem baldigen Rummenigge-Nachfolger Oliver Kahn soll Klarheit bringen oder zumindest Weichen stellen. Wenn Flick geht, bleibt nur Julian Nagelsmann als adäquate Lösung, lässt ihn Leipzig nicht gehen, können die Bayern ihre Baustelle kaum vernünftig schließen. Die unterschiedlichen Auffassungen der Führungsfiguren Rummenigge, Hoeneß, Hainer und Salihamidzic werden die Lösung erschweren. Womöglich machen die Bayern selbst den Weg frei für die Konkurrenz zum ersehnten Titelgewinn.

Allerdings: Auf jeden Fall will Hansi Flick den neunten Meistertitel in Folge in diesem Jahr, die Schale soll in München bleiben, sie ist der Rest vom Triple. Aber ob die Kraft wirklich reicht, ist offen, Lewandowski und Gnabry werden am Samstag in Wolfsburg noch fehlen, Gorotzka bleibt fraglich, die „Wölfe“ sind hungrig, sie lieben bekanntlich eine angeschlagene Beute. Kräfte sammeln können die Münchner nicht, eine englische Woche steht bevor. Drei Spiele (Wolfsburg, Leverkusen, Mainz) in denen die Meisterschaftsträume in Gefahr geraten können vor dem Endspurt (Gladbach, Freiburg, Augsburg). Wäre für Hansi Flick ein Abgang ohne Titel nach den sechs in einem Jahr überhaupt denkbar?

Die Münchner und Dortmunder lecken ihre Wunden, die internationale Konkurrenz feiert. Auffallend: Sechs Bundesligisten starteten nach dem Jahreswechsel im internationalen Geschäft, die Halbfinals gehen jetzt ohne Bundesliga über die Bühne! Hoffenheim und Leverkusen blamierten sich in der Europa League, für Leipzig und Gladbach war gegen Liverpool und Manchester City schnell Endstation. Im Vorjahr waren die Bayern und Leipzig im Halbfinale vertreten, englische Vertreter und Spanier fehlten. Diesmal meldet sich die Premier League mit Chelsea und City zurück. Von vier deutschen Trainern ist nur noch Thomas Tuchel dabei, der nun die Aufgabe Real Madrid vor der Brust hat. „Es ist Zeit für Titel“, forderte Tuchel von seinen Mannen (auch national), aber Toni Kroos warnt bereits: „Wenn es darauf ankommt, ist Real da“. Auf der anderen Seite ist das Duell Paris gegen City fast schon ein Endspiel. Es ist das Duell der Scheich-Teams, die beide schon lange vom Gewinn der Champions League träumen. Manchesters Trainer Pep Guardiola war dabei besonders glücklich, denn er besiegte den Halbfinal-Fluch, denn mit City war ihm der Sprung dahin noch nie geglückt. Die Rolle des Favoriten weist er Paris zu „die beste Mannschaft der Welt“ und verweist auf die Ausnahmekönner Neymar und Mbappé. Neymar nimmt die Rolle an: „Jetzt wollen wir den Pott“. Nun, ein Manuel Neuer steht ihm nicht im Weg und Latte und Pfosten hat er gegen die Bayern oft genug getroffen.

Besonders bitter ist das Ausscheiden natürlich für Borussia Dortmund, weil ein Jahr ohne Champions League droht. Die Mannschaft hat sich tapfer gegen Manchester City gewehrt und konnte erhobenen Hauptes vom Platz gehen, aber gegen Peps Passmaschinen war fast kein Kraut gewachsen. Ein unglücklicher (aber korrekter) Elfmeter brachte im Rückspiel die Wende. Auch Dortmund könnte jetzt eine Baustelle bevorstehen, wenn die Stars Sancho und Haaland den Verein verlassen sollten. Immerhin, die Baustelle Trainer ist ja mit Marco Rose geschlossen, auch wenn sich der Noch-Gladbacher die Zukunft in Dortmund wohl anders vorgestellt hatte. Ab sofort (aktuell natürlich noch mit dem Aufholen des Rückstandes auf Wolfsburg und Frankfurt) wird an der Rückkehr in die Elite gearbeitet.

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