Das Jahr der Schiedsrichter – Hansi Flick und die unangenehmen Fragen
Die persönliche Entscheidung passte ja wie die Faust aufs Auge. Der Freiburger Profi Nils Petersen tat dieser Tage kund, dass er seine aktive Karriere im Sommer beenden werde. Was macht der Rekord-Joker der Fußball-Bundesliga danach? Vielleicht bekommen wir bald einen neuen Spitzen-Schiedsrichter!
Nils Petersen war kürzlich zusammen mit seinem Kollegen Anton Stach Hauptdarsteller einer Werbeaktion des Deutschen Fußball-Bundes für Schiedsrichter. Der DFB hat das „Jahr der Schiedsrichter“ ausgerufen, weil es in dieser „Branche“ brennt. Innerhalb von zehn Jahren sank die Zahl der Schiris von 70.000 auf 50.000. Vor allem in den unteren Klassen ist der Job kein Zuckerschlecken, die Zahl der Spielabbrüche stieg auf die Rekordzahl von 911, Diskriminierungen, Bedrohungen und sogar Gewalt sind fast schon an der Tagesordnung. Kein Wunder also, dass es an Nachwuchs mangelt.
Nils Petersen und Anton Stach versuchten sich in dieser „artfremden“ Aufgabe für Fußball-Profis. Sie leiteten jeder eine Halbzeit das Bezirksliga-Derby zwischen dem VfR Nierstein und TSV Mommenheim (6:0). Es wurde ein Volksfest mit 1100 Zuschauern rund um den Kunstrasenplatz an der Realschule. Petersen und Stach wurden ins kalte Wasser geworfen, hatten aber den erfahrenen Bundesliga-Schiedsrichter Deniz Aytekin über Kopfhörer an ihrer Seite und auch junge Schiedsrichter an der Linie gaben über Funk Tipps und Anweisungen, nämlich Sophie Burkhart (22), sie pfeift in der Männer-Landesliga und U17-Juniorinnen-Bundesliga, sowie Bezirksliga-Referee Jo Blattner (25). Am Schluss war Aytekin zufrieden, „sie haben das großartig gemacht“, er bescheinigte Nils Petersen, dass er Talent habe. „Wäre doch toll, wenn er sich für die Schiedsrichterei entscheiden würde.“
Nils Petersen selbst sprach von einer „großen Erfahrung“, ist am Überlegen und will „respektvoller an die Sache rangehen“. Er gesteht: „Ich hatte mich nie groß mit dem Schiri-Dasein beschäftigt. Meinen Kumpels in der Heimat, die in der Bezirksliga und Landesliga unterwegs sind, werde ich jetzt ins Gewissen reden. In erster Linie sind wir Fußballer gefragt, dass wir uns korrekt verhalten.“ Wir werden sehen, wie sich der Spieler jetzt auch in der Bundesliga gegenüber den Unparteiischen verhält… Die Profis sollten sich ja immer bewusst sein, dass sie den Amateuren ein Beispiel geben.
Anton Stach musste erkennen, dass Schiedsrichter doch ein ganz anderer Job ist. Die Beobachter urteilten „lauffaul“ über ihn, er war nicht immer auf Ballhöhe und beschrieb die größte Schwierigkeit: „Es fühlte sich komisch an, vom Ball wegzulaufen. Es war überfordernd.“ Auch sein Urteil steht: „Ich habe künftig mehr Respekt vor den Schiris.“ Vielleicht sollte künftig jeder Profi vor der Saison erst mal ein Amateurspiel als Schiri leiten!
Hansi Flick und die Frage der Sicherheit
Beliebter als Schiedsrichter ist die deutsche Nationalmannschaft allemal noch, aber beim desolaten 2:3 gegen Belgien passierte seltsames: Das Kölner Publikum ließ sich vom abstrusen Geschehen auf dem Rasen nicht beeindrucken, feierte die Mannschaft und sich selbst und sorgte für tolle Stimmung. Und das bei einem Katastrophen-Start mit haarsträubenden Fehlern und einem 0:2 nach nur neun Minuten! Gut, die Flick-Schützlinge bäumten sich auf und der Bundestrainer schritt zu den entscheidenden Auswechslungen: Emre Can kam für den angeschlagenen Leon Goretzka, Felix Nmecha sorgte für mehr Kampfgeist als der überforderte Florian Wirtz. Vor allem Can wurde zum Gewinner der ersten Testspiele. Er übernahm das Kommando im Mittelfeld, sorgte für Ordnung und Sicherheit, war der „Sheriff“ auf dem Platz und er wird Flick jetzt zum Grübeln bringen. Im Mittelpunkt steht die Frage der Sicherheit.
Insofern war Belgien der beste Testgegner, die Wunden wurden offengelegt, jetzt muss Hansi Flick handeln. Dies könnte zum Beispiel das Aus des Mittelfeld-Duos Kimmich/Goretzka bedeuten. Beide wollen am Spiel teilhaben, sind keine Abräumer, sondern eher offensiv ausgerichtet. Joshua Kimmich möchte sowieso überall sein – und fehlt überall. Can stopfte dieses Loch, Gorotzka macht das nicht. Vorteil Can.
Der Bundestrainer sah die Abwehr eher in der Verantwortung, Wolf, Ginter, Kehrer und Raum haben alle defensiv enttäuscht. Wobei Hansi Flick eigentlich erkannt haben muss, dass er Abstand von seinen Lieblingsschülern nehmen muss: Thilo Kehrer ist kein Stabilisator einer Abwehr, er kann vielleicht wertvolles Mitglied eines Turnieraufgebots sein, weil er auf verschiedenen Positionen einsetzbar ist. Auch die Nibelungentreue zu Timo Werner wirkt bald lächerlich, erneut hat der unbeholfene Leipziger in zwei Spielen mehr Schwächen als Stärken gezeigt. Er kann sich an Niclas Füllkrug ein Beispiel nehmen, der kam, traf und machte sich unentbehrlich. Als Mann neben ihm gibt es viele Kandidaten (Havertz, Wirtz, Gnabry, Müller, Musiala), Werner hat die Rolle ausgespielt.
Hansi Flick sieht sich mit seinem Team in der Zeit des „Castings“, doch eigentlich hat er die Zeit nicht. Er sollte jeweils auf sein stärkstes Team bauen und sehen, dass er die Schwächen ausmerzen kann. Das Thema Sicherheit gilt auch für die Außenverteidiger, offensiv oder defensiv stark – eine Frage des Systems. Deutschland wurde 2014 Weltmeister mit vier Innenverteidigern auf einer Linie! Defensive holt Titel! Hansi Flick muss sich an die Realität halten und nicht Wunschvorstellungen nachlaufen. Im Juni stehen noch einmal drei Tests an, am 12. Juni soll es in Bremen das 1000. Länderspiel geben, Gegner wird die Ukraine sein, als Botschaft gegen den russischen Angriffskrieg. Danach könnte es ein Spiel in Polen geben und in Frankfurt Uruguay der Gegner sein. Doch fixiert ist noch nichts. Alles ungewiss also im Laden Nationalmannschaft.