Super-Bayern gegen „Wundertüte“ Barcelona
Es gibt Leute, die fragen, ob ein Champions-League-Titel, der in einem K.o.-Turnier gewonnen wird, so viel wert sein kann wie der Pokalgewinn im normalen Modus mit Hin- und Rückspiel. Ein Blick auf die Spannung vor dem grandiosen Viertelfinale von Bayern München gegen den FC Barcelona am Freitag genügt, um festzustellen: Wer am Ende den Henkelpott hochhalten darf, ist ein verdienter Sieger, ohne Wenn und Aber.
Das Duell zwischen den Bayern und Barca könnte auch das Endspiel sein. Vor der heißen Phase der entscheidenden Spiele waren vor allem die Münchner und Manchester City als große Favoriten genannt worden, erst dahinter Real Madrid, Juventus Turin, Barcelona oder – schon mit ein wenig Skepsis – Paris St. Germain. Real und Juve mussten bereits die Segel streichen und Barca beeindruckte durchaus beim 3:1 gegen den SSC Neapel. Vor allem einer stach heraus: Lionel Messi!
Als Mannschaft imponierte der Deutsche Meister beim 4:1 gegen Chelsea weit mehr, doch die Londoner waren ein zu schwacher Gegner, um die wahre Form der Bayern zu testen. Dennoch: Die Münchner stellen sich derzeit als Super-Bayern dar, die Rekorde purzeln gleich serienweise, auch in der Champions League (CL). Acht Siege in den ersten acht Spielen gab es noch nie und mit 31 Toren übertrumpften Lewandowski und Co. ausgerechnet Barcas bisherige Rekordmarke von 30 Treffern. Die Bayern sind also in Form. Dagegen präsentiert sich der FC Barcelona als „Wundertüte“. In der nationalen Meisterschaft schwächelten Messi und Co. und mussten Real Madrid den Vortritt lassen. Die Folge waren Streit und gegenseitige Anschuldigungen. Trainer Quique Setien ist umstritten und stand vor dem Aus. Getobt hat vor allem Superstar Messi, der sich mit so schwachen Spielen nicht anfreunden kann. Doch aller Zwist wurde offensichtlich beigelegt, Messi rief die Parole aus, „volle Kraft für den Gewinn der Champions League“. Und Messi lebt es vor, das macht Barca zu einem gefährlichen Gegner für die Super-Bayern, die im Jahr 2020 noch keine Niederlage erlebt haben!
Das große Duell hat seinen Reiz auch in einigen direkten Vergleichen. So stechen Messi auf der einen und Robert Lewandowski auf der anderen Seite heraus. Messi ist natürlich mehr als der reine Torjäger, aber dahin entwickelt sich auch der Pole, führt aber mit 13 Treffern die Torschützenliste der CL an (vor Erling Haaland/Dortmund 10 Tore, Messi liegt bei 3). Für eine Wahl des „Weltfußballers“ werden beide in vorderster Front genannt, noch vor Cristiano Ronaldo, der bekanntlich für den Rest des Turniers zuschauen muss. Er wird schmollend in der Sofa-Ecke sitzen. Reizvoll auch der Vergleich zwischen den Torhütern, den beiden Rivalen in der Nationalmannschaft. Manuel Neuer kämpft um seinen Status als Nummer 1, Marc-Andre ter Stegen will mehr spielen, muckt immer mehr auf. Ein Spiel kann keine endgültige Antwort geben, aber Neuer darf sich keinen Fehler wie gegen Chelsea leisten. Der Bessere an diesem Tag könnte zum Matchwinner werden!
Interessant: Im Gesamtvergleich aller Duelle liegen die Bayern mit sechs Siegen und zwei Niederlagen vorn. Welch ein Omen: Gab es Bayern – Barca in der K.o.-Phase, dann holte der Sieger jeweils später den Titel! Die Münchner erinnern sich gern an 2013, als sie Barcelona im Halbfinale mit 4:0 und 3:0 abservierten und dann das Triple holten!
Vergessen wir die anderen nicht, vor allem Manchester City nicht. Hier ist es ähnlich wie in Barcelona, nur ohne Streit. City sah in der Premier League den FC Liverpool nur durch das Fernrohr, das wurmt natürlich den mit Titeln verwöhnten Pep Guardiola. Wie bei Barca geht es also um Wiedergutmachung: Die CL gewinnen! Pep schickte seinen berühmten Kollegen Zinedine Zidane auch auf das Sofa, das Fehlen des gesperrten Sergio Ramos schmerzte stark. Noch mehr aber haderte man bei Juventus Turin. Italiens Rekordmeister wollte mit Cristiano Ronaldo auch die Champions League erobern, aber Außenseiter Olympique Lyon machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Fast logisch, dass der ungeliebte Trainer Maurizio Sarri schon am nächsten Tag gehen musste, überraschend die Lösung: Mit Andrea Pirlo, einst ein Idol in Italien, übernimmt ein Trainernovize das Ruder. Der 41-Jährige sollte eigentlich bei der U23 von Juve beginnen, jetzt befiehlt er Ronaldo. Der aktuelle Star hat mit dem alten Star einen Coach auf Augenhöhe!
Lyon machte deutlich, vergesst die Außenseiter nicht. City ist also gewarnt, aber auch Paris St. Germain darf sich in Acht nehmen, Gegner Atalanta Bergamo mit dem deutschen Aufsteiger Robin Gosens gehört auch in die Kategorie „Wundertüte“. Paris ist natürlich klarer Favorit, aber international klappte es bisher noch nicht. Trainer Thomas Tuchel bangt vor allem um den angeschlagenen Dampfmacher Kylian Mbappe. Sein Mitwirken könnte entscheidend sein. Eigentlich ist auch der RB Leipzig ein Außenseiter, aber die Bundesligist ist selbstbewusst genug, sich gegen Atletico Madrid nicht als Außenseiter zu sehen. International ist es aber eher ein Duell Lehrling gegen – na sagen wir mal – Geselle (Atletico gehört nicht zu Topfavoriten). Leipzig hat auch ohne Timo Werner das Zeug für eine Überraschung zu sorgen und Trainer Julian Nagelsmann würde sich auch international einen Namen machen. Angeblich könnte er sogar für Real Madrid interessant werden.
Deutsche Hoffnungen ruhen auf Leverkusen
In der Bundesliga muss Bayer Leverkusen mit dem Spott von „Vizekusen“ leben, weil es trotz guter Voraussetzungen nie zu einem Titel reichte. Jetzt soll eine internationale Trophäe her! Bayer Leverkusen träumt vom Sieg in der Europa League, was gleichbedeutend mit einem Startplatz in der CL wäre. Aber da gibt es auch noch andere Interessenten, zum Beispiel gleich im Viertelfinale am Montag in Düsseldorf Inter Mailand. Leverkusen hatte gegen die Glasgow Rangers keine Probleme (3:1/1:0), Mailand hatte nur ein K.o.-Spiel gegen Getafe und gewann 2:0, präsentierte sich dabei aber nicht unbedingt als Titel-Anwärter. Das sieht beim FC Sevilla und Manchester United schon anders aus. Nicht zu vergessen Schachtor Donezk, das gegen den VfL Wolfsburg beim 3:0 und 2:1 beeindruckte. Die „Wölfe“ erlitten also das Schicksal vieler Bundesligisten in der EL, wie auch Eintracht Frankfurt, das seine jahrelange Erfolgsserie mit Niederlagen gegen den FC Basel (0:3/0:1) unrühmlich beendete. Jetzt ruhen die deutschen Hoffnungen also auf Leverkusen, dass auf Kai Havertz bauen kann, aber leider auf Charles Aranguiz, dem Stabilisator im Mittelfeld, wegen Sperre verzichten muss.
Das Duell Leverkusen – Inter ist zweifellos das Schlagerspiel im Viertelfinale, ansonsten treffen Außenseiter auf Favoriten. Das Fußballfest in Nordrhein-Westfalen geht wohl erst im Halbfinale richtig los, leider wie überall eben ohne Zuschauer. Die Paarungen im Viertelfinale: Montag: Inter – Leverkusen (in Düsseldorf), Manchester United – FC Kopenhagen (in Köln). – Dienstag: Wolverhampton Wanderers – FC Sevilla (in Duisburg), Schachtor Donezk – FC Basel (in Gelsenkirchen). Spielbeginn ist jeweils um 21.00 Uhr. Weiter geht es mit dem Halbfinale (Leverkusen/Mailand – Donezk/Basel) am Sonntag und Montag (16./17.8.), das Finale gibt es am Freitag, 21. August (21.00 Uhr) in Köln.