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Tag: Australian Open

Lernprozess in der Schule des Sports

Innerhalb weniger Stunden musste der deutsche Sport zwei schwere Niederlagen hinnehmen. Die Handballer verspielten das erhoffte Halbfinale bei der Europameisterschaft in Kroatien mit einem fast schon peinlichen 27:31 gegen Spanien, die Tennisspielerin Angelique Kerber verpasste das Finale der Australian Open nach einem 3:6, 6:4, 7:9 gegen die Nummer 1 der Welt, Simona Halep aus Rumänien. Kerber sank auf die Knie, aber sie durfte den Court erhobenen Hauptes verlassen. Zwei Niederlagen der unterschiedlichen Art, zwei Niederlagen die einen Lernprozess in der Schule des Sports deutlich machen.

Bleiben wir zuerst auf der positiven Seite. Angelique Kerber stand ganz oben in der Tennis-Welt, erlebte ein Traumjahr 2016 mit zwei Siegen bei Grand-Slam-Turnieren, wurde die Nummer 1 und lernte ein Jahr die Schattenseiten des Sports kennen. Keine Siege mehr, qualvolle Turniere, nervtötende Niederlagen – ein Absturz. Nicht mal mehr in Deutschland war sie die Nummer 1, in der Welt nur noch die Nummer 22. „Ich habe viel gelernt“, sagt die 30-jährige heute, nachdem für sie wieder die Sonne scheint. Sie hat ihr Leben wieder umgekrempelt, einen neuen Trainer, neuen Schwung und wieder Selbstbewusstsein. „Ich weiß, dass ich heute wieder gewinnen kann.“ Niederlagen muss man annehmen, aus Niederlagen kann man lernen, das ist der Lernprozess in der Schule des Sports.

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft war auch ganz oben, Europameister 2016. Da blühen dann die Träume, die von einer Medaille bei der Weltmeisterschaft 2019 im eigenen Land (zusammen mit Dänemark), die vom Gold bei den Olympischen Sommerspielen 2020 in Tokio. Die Träume sind natürlich nicht geplatzt, aber beim Handball-Bund ist man sich bewusst, dass Träume auch Schäume sein können, das sagt die Schule des Lebens.

Bei der Handball-Nationalmannschaft spielt der Bundestrainer immer eine besondere Rolle. Besondere Erfolge wechseln sich mit peinlichen Niederlagen ab. Erfolgstrainer wie die Handball-Legende Heiner Brand oder zuletzt der Isländer Dagur Sigurdsson bleiben nicht ewig. Der neue Bundestrainer Christian Prokop galt als Hoffnungsträger, wurde für 500.000 Euro aus dem laufenden Vertrag vom Bundesligisten Leipzig freigekauft und er erhielt einen Fünfjahresvertrag. Zweifel gab es also nicht, nach dem frustrierenden Aus gegen Spanien bei der Europameisterschaft in Kroatien schon. Das Ziel Halbfinale wurde verfehlt, schlimmer noch, die Leistungen der deutschen Mannschaft waren zeitweise katastrophal, „Verkörperte Verunsicherung“ hieß eine Schlagzeile, von Schwung war nichts zu sehen. „Reifeprüfung gleich beim ersten Mal“ hieß es vor dem Turnier, „nicht bestanden“ muss es nach dem Turnier heißen. Christian Prokop befindet sich mitten im Lernprozess in der Schule des Sports.

Der 39-jährige Bundestrainer muss lernen und er hat schon beim Turnier gezeigt, dass er lernwillig ist. Seine Kader-Zusammenstellung für Kroatien sorgte für Kopfschütteln, den größten Fehler, nämlich Abwehrchef Finn Lemke nicht zu nominieren, korrigierte er schnell. Doch er schaffte mit diesen Entscheidungen die Basis für die Verunsicherung, er schuf kein Team, das mit Begeisterung den Grundstein für Siege legen kann. Ganz im Gegenteil, auch im Mannschaftsgefüge taten sich offensichtlich Risse auf, Prokop soll wutentbrannt sogar ein Training abgebrochen haben. Keine guten Voraussetzungen für Erfolge. Ein Lernprozess.

Der Handball-Bund will sowohl am Trainer als auch am DHB-Vize Sport Bob Hanning, der sich oft weit aus dem Fenster lehnt, festhalten. Siehe Angelique Kerber, „aus Fehlern müssen wir lernen“, heißt es im Handball. Die Talente für große Erfolge sind da, sie müssen aber auch in die richtigen Bahnen gelenkt werden, sie brauchen Vertrauen und keine Verunsicherung. Auch das ist ein Lernprozess in der Schule des Sports. Wird er erfolgreich abgeschlossen, darf man wieder von Medaillen bei der Weltmeisterschaft und den Olympischen Spielen träumen. So wie Angelique Kerber bei den weiteren Turnieren in diesem Jahr.

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Angie Kerber und die Schatten der Nummer 1

 

Deutschland hat wieder eine Nummer 1 im Tennis! Angelique Kerber verlor zwar das WTA-Finale in Singapur weil sie mit ihren Kräften am Ende war, aber sie darf als Nummer 1 im Damen-Tennis überwintern. „Das ist ein Wahnsinn“, sagt die Kielerin über 2016, als bei ihr gewissermaßen alle Knoten platzten. Sie verbesserte ihr Spiel, zeigte plötzlich Nervenstärke und legte noch mehr Kampfkraft in die Waagschale. Das Jahr 2016 war wirklich der Wahnsinn: Sieg bei den Australian Open im Januar, Sieg bei den US Open im Oktober, dazu im Finale von Wimbledon und bei den Olympischen Spielen. Schade, der WTA-Titel, die inoffizielle Weltmeisterschaft, wäre die Krönung gewesen. Wieder einmal Steffi Graf war es, die den Titel als letzte Deutsche genau vor 20 Jahren, 1996, gewann.

Der Schatten von Steffi Graf ist es auch, der Angie Kerber auf ihrem Weg begleitet. Bei jedem Sieg wird davon gesprochen, wann Steffi Graf hier auch gewonnen hat und wie viel mehr das Golden-Girl der 80er- und 90er-Jahre erreicht hat. Der Deutsche Tennis-Bund hofft seitdem auf eine neue Steffi Graf und hat jetzt Angie Kerber, die aber ihre Wurzeln nach Polen pflegt und inzwischen auch wieder in Polen wohnt. Die Herzen der Deutschen hat sie noch nicht erreicht, was auch die Einschaltquoten im Fernsehen beweisen. ARD und ZDF erinnerten sich daran, dass sie vor Jahren einen Shitstorm überstehen mussten, weil sie nicht fähig waren, die deutsche Spielerin Sabine Liesicki in ihrem Wimbledon-Finale zu zeigen. Das sollte ihnen bei Kerber nicht passieren, doch die Tennis-Fans dankten es ihnen nicht. Die Millionengrenze wurde erst beim WTA-Finale am Sonntag überschritten, aber 1,63 Millionen Zuschauer (immerhin 11,7 Prozent der eingeschalteten Geräte) waren nicht die Welt. Das beweist, der DTB muss auf einen neuen Tennis-Boom weiter warten. Aber Angelique Kerber darf man das nicht anlasten.

Wir sollten nicht vergessen, dass die heute 28jährige vor fünf Jahren bereits vor dem Aus ihrer Karriere stand. Sie scheiterte frühzeitig bei einem Turnier nach dem anderen und wollte den Tennisschläger schon in die Ecke werfen. Dann kam sie bei den US Open als Weltrangliste-92. sensationell ins Halbfinale – der Wendepunkt. 2012 stieß Kerber bis auf Rang fünf der Weltrangliste vor, gewann in Paris und Kopenhagen ihre ersten WTA-Titel, besiegte sogar einmal Serena Williams. Auch 2013 und 2014 beendete sie unter den Top Ten und gewann 2015 vier Titel, kam bei den Grand-Slam-Turnieren aber nie über die dritte Runde hinaus.

Nichts deutete darauf hin, dass 2016 das Jahr der Angelique Kerber werden würde. Sie erlebte ihre ersten Glücksmomente bei den Australien Open, als sie im Finale sensationell Serena Williams mit 6:4, 3:6, 6:4 bezwang. „Jetzt weiß ich, dass ich alle schlagen kann“, holte Kerber eine Menge Selbstvertrauen aus diesem Erfolg. Selbstbewusstsein wurde eine ihrer Stärken, auch wenn sie das Wimbledon-Finale gegen Serena Williams verlor. Bei den US Open wurde Kerber dann die Nummer 1 der Welt, aber eine, die mit Schatten leben muss. Da ist nämlich nicht nur der Schatten von Steffi Graf, sondern auch der von Serena Williams, die den Aufstieg der Deutschen dadurch begünstigte, dass sie zum Jahresende hin von einer Schulterverletzung geplagt bzw. außer Gefecht gesetzt wurde. Serena ist eigentlich die natürliche Nummer 1.

Umso spannender wird das Jahr 2017 werden. Angelique Kerber muss ihre Erfolge bestätigen, um auch die Punkte in der Weltrangliste zu verteidigen. Das wird schwer genug. Die Verfolgerinnen sind nicht weit weg, Serena Williams will wieder den Thron besteigen, wird aber ihrem Alter und einer hohen Verletzungsanfälligkeit Tribut zollen müssen. Dazu kommt die gesperrte Maria Scharapowa wieder zurück, das Glamourgirl will beweisen, dass sie nichts verlernt hat. Die Polin Agnieszka Radwanska und vor allem die Slowakin Dominika Cibulkowa werden der Deutschen das Leben schwer machen. Cibulkowa wirkte im WTA-Finale wie gedopt, war aufgeputscht und hielt Hände und Füße keine Sekunde ruhig. Das Powerpaket beweist, dass Kerber in punkto Fitness den Gegnerinnen nicht unbedingt überlegen ist.

Angelique Kerber will und muss die Herausforderung annehmen, sie will und muss ihr Spiel aber auch weiter verbessern. Die „Alte Dame“ des Tennis, Martina Navratilova, rät Kerber dazu, ihr Spiel noch aggressiver zu gestalten und mehr Volleys einzustreuen, nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“. Das hat auch Kerber erkannt, die gesteht, „ich muss sehen, dass ich meine Spiele früher beenden kann“. Das heißt, sie muss Kräfte sparen. 2016 war auch in diesem Punkt der Wahnsinn: Sie hat mit 81 Spielen mehr als alle anderen bestritten, nur 18 davon hat sie verloren.

Jetzt wird die Kielerin erst einmal den verdienten Urlaub machen, sich erholen und sicherlich im Dezember 2016 mit dem Titel als „Sportlerin des Jahres“ abschließen. 2017 muss sie neben Können auch Nervenstärke zeigen, denn als Nummer 1 ist sie die Gejagte. Aber sie sagt mit einem Lächeln: „Es ist schön, die Nummer 1 zu sein.“ Beginnen wird sie das neue Jahr Anfang Januar in Brisbane. Vielleicht gibt es dann 2017 doch noch so etwas wie einen kleinen Tennis-Boom in Deutschland.