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Tag: Ilkay Gündogan

Fast-Blamage weckt WM-Erinnerungen

Ja, es gab sie, die Rufe aus dem Publikum: „Löw raus“. Der Bundestrainer musste sich fühlen wie bei der missglückten Fußball-Weltmeisterschaft vor einem Jahr in Russland. Seine Mannschaft uninspiriert, leidenschaftslos, erfolglos. Der Bundestrainer hilflos. Welche Gedanken sind Joachim Löw da durch den Kopf gegangen? Das hat er nicht verraten, am Ende konnte er ja auch durchschnaufen, doch noch ein 3:0 gegen Estland. Das Wichtigste: Drei Punkte eingefahren, die EM-Qualifikation nicht in Gefahr.

Der Neubeginn in der Nationalmannschaft wird aber immer holpriger, das Verletzungspech hat allerdings auch unerbittlich zugeschlagen. Man darf keinem der Abwesenden unterstellen, dass er nicht kommen wollte (das soll es früher schon gegeben haben). Aber Löw muss sich fragen, ob er in den letzten Wochen alles richtig gemacht, er hat Türen zugeschlagen, die er besser lieber einen Spalt offen gelassen hätte. Bei Mats Hummels und Jerome Boateng zum Beispiel, die in Tallinn hätten helfen können. So spielte mit Emre Can ein Mann in der Abwehr, der dieses Metier nicht sein eigen nennt und darüber hinaus im Mittelfeld in seinem Verein Juventus Turin nur die Rolle des Ersatzmannes inne hat. Seltsam oder, Herr Löw?

In Estland fiel kurz vor dem Spiel auch noch der Retter der letzten Partien aus, nämlich Torjäger Serge Gnabry. Vielleicht ganz gut so, denn deshalb wurden auch manche Schwächen offengelegt. So machte Julian Brandt einmal mehr deutlich, dass das Nationalteam für ihn noch eine Nummer zu groß ist, Mannschaftskamerad Marco Reus bringt im DFB-Trikot nicht die Leistung wie in Gelb-Schwarz in Dortmund und das große Talent Kai Havertz muss noch reifen, eine Verstärkung ist er im Moment noch nicht.

Ein Gewinner und Verlierer war Ilkay Gundagan. Von Pep Guardiola bei Manchester City geschätzt, zeigte er auch im DFB-Trikot Führungsqualitäten. Er öffnete den Knoten, weil er sich ein Herz fasste und endlich aufs Tor schoss, vorher fehlte allen der Mut zum Torabschluss. Zweimal wurden seine Schüsse abgefälscht, zweimal Glück gehabt. Die falsche Entscheidung fällte er im Vorfeld, als er seine Zustimmung deutlich machte zu einem unsäglichen Foto eines Militär-Grußes der türkischen Nationalmannschaft. Wie schon vor der WM in Russland zeigt das die Unterstützung von Türkeis umstrittenen Ministerpräsident Erdogan, ein Zündler im Nahen Osten, wenn Gündogan (das gleiche gilt für Can) auch abschwächt, er sah keine politische Tat. Dumm gelaufen und nichts gelernt, auch hier WM-Erinnerungen.

Joachim Löw muss um seinen Job nicht bangen, noch nicht. In den letzten Qualifikationsspielen gegen Weißrussland und Nordirland am 16. und 19. November wollen wir aber bessere Leistungen sehen. Sonst heißt es „ohne Hoffnung fahr’n wir zur EM“.

Brisanz in der Bundesliga

Nach den Länderspielen ist vor den Länderspielen, dazwischen gibt es vier Spieltage der Bundesliga voller Spannung, voller Brisanz, nämlich mit einer Art Vorentscheidung. Bis zur nächsten Pause nach dem 10. November liegen 11 Spieltage hinter uns und die Karten auf dem Tisch: Wer darf sich nach oben orientieren, wer befindet sich im Abstiegskampf. Und bis dahin jede Menge Schlagerspiele und mit Sicherheit jede Menge Schlagzeilen über unzufriedene Spieler.

In vorderster Front dabei derzeit Thomas Müller. Logisch, er ist der prominenteste und beliebteste Spieler auf der Bank. Ein Luxus-Problem, das sich Bayern München leistet, aber auch logisch, weil Thomas Müller derzeit zu den Verlierern zählt. Der Hoffnungsträger heißt Coutinho, der Weltklasse-Spielmacher auf der Müller-Position. Wohin mit Müller, wohin mit der schlechten Laune und wie wieder für gute Stimmung sorgen – bei allen Spielern im Bayern-Kader? Diese Rätsel zu lösen ist die schwierigste Aufgabe für Bayern-Trainer Niko Kovac, der in den drei Wochen zwischen dem 19. Oktober und 9. November (Schlager gegen Dortmund!) in sieben Spielen eigentlich immer punkten muss. Am Ende wird der Trainer vielleicht aufatmen und im Geheimen denken „zum Glück gibt es Verletzungen und müde Krieger“. Verkehrte Welt.

Vier Spieltage und an jedem unzählige Schlagerspiele, in den meisten Partien geht es für viele beinahe um Alles, egal ob oben oder unten. Zum Beispiel am Samstag Dortmund – Gladbach, der gefühlte Tabellenführer gegen den wahren Tabellenführer, Dortmund muss sich zeigen oder Trainer Lucien Favre gerät immer mehr in Bedrängnis. Am gleichen Tag Leipzig gegen Wolfsburg, der Sieger kann neuer Tabellenführer werden, natürlich auch die Bayern bei einem Erfolg in Augsburg. Ist der logisch? In der Bundesliga ist nichts mehr logisch, Augsburg hat den Bayern schon oft Probleme bereitet. Und am Tabellenende gibt es auch ein Schlagerspiel: Köln – Paderborn, Vorletzter gegen Letzter, nur für einen heißt es weg vom Tabellenende. Union Berlin (gegen Freiburg) und Düsseldorf (gegen Mainz) sind punktgleich mit Köln, wer nicht punktet bleibt im Tabellenkeller und wer dort am 11. Spieltag steht, für den hat der Abstiegskampf endgültig begonnen.

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Im Fall Özil waren viele schlecht beraten

Er hat es getan, aber seine Aussagen hatten einen anderen Inhalt, als es der DFB und die Öffentlichkeit erwartet hatten. Nach wochenlangem Schweigen zu den umstrittenen Erdogan-Fotos meldete sich Fußball-Nationalspieler Mesut Özil am Sonntag im Internet zu Wort und lederte los. Nicht einmal, nicht zweimal, nein dreimal. Häppchenweise lieferte er eine Abrechnung mit dem Verband, mit den Medien, praktisch mit allen. Die Abrechnung endete mit Rücktrittsforderungen von DFB-Präsident Dr. Reinhard Grindel und mit dem eigenen Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Das Kapitel Özil ist beim DFB beendet, das Thema rund um den 29-Jährigen Deutsch-Türken wird uns aber noch lange beschäftigen. Je nach dem, wie sie es brauchen, werden vor allem rechtsgerichtete Kreise das Thema Özil am Leben erhalten.

Es begann mit den unglücklichen Fotos der Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem Präsidenten der Türkei, Erdogan. Die Öffentlichkeit kritisierte diese Fotos als Wahlhilfe für einen Präsidenten, der Menschenrechte missachtete, entsprechend groß war die Unruhe im deutschen Team, was als Teil des enttäuschenden Abschneidens bei der Weltmeisterschaft in Russland ausgemacht wurde. Während Gündogan Stellung bezog, schwieg Mesut Özil beharrlich. Somit sorgte er dafür, dass das Thema immer am köcheln blieb, es kam keine Ruhe in die Mannschaft, zumal es keinen sportlichen Erfolg gab, der die politischen Strittigkeiten hätte überdecken können. Özil sorgte mit seinem Verhalten auch dafür, dass das Image der Nationalmannschaft als Vorbild für Integration Schaden nahm (dafür erhielt Özil sogar den Bambi). Vorbild für gelungene Integration wurde dann Frankreich als neuer Weltmeister. Vier Jahre zuvor in Brasilien wurde dafür noch Deutschland gefeiert, also eine Wachablösung auf der ganzen Linie!

Eines steht fest: Im Fall Mesut Özil waren viele schlecht beraten. Zunächst einmal Özil selbst (und natürlich auch Gündogan), dass sie die Fotos mit Erdogan nicht abgelehnt hatten. Möglich, dass ihre Berater diese Fotos sogar forciert hatten, doch die Publicity hatten sie vollkommen falsch eingeschätzt. Die Spieler wiederum, die sich von politischen Aussagen distanzierten, standen als Naivlinge da.

Mit Mesut Özil spielten die Berater auch ein schlechtes Spiel, dass sie ihn zunächst mal lange (zu lange) schweigen ließen und jetzt mit einer geballten Abrechnung in drei Teilen Tabula rasa machten. Özil fühlt sich seinen türkischen Wurzeln verpflichtet, fühlt sich missverstanden und schlechter behandelt als andere, weil er eben türkischen Wurzeln habe. Hier verwechselt einer Tatsachen und Wirkung, Einsicht zeigt er nicht. Özil beklagt sich über zu wenig Respekt, zeigt aber keinen Respekt gegenüber dem Nationaltrikot, gegenüber der Öffentlichkeit in Deutschland. Özil wurde ganz einfach schlecht beraten und warf seine Karriere im Nationaltrikot einfach weg. Da hat sich einer ganz schön verdribbelt.

Die Rücktrittsforderung gegenüber dem DFB-Präsidenten kommt nicht überraschend, Reinhard Grindels Rücktritt hatten auch schon andere gefordert, was nach dem schlechten Krisenmanagement des Verbandes auch logisch ist. Auch Grindel war schlecht beraten, ebenso Teammanager Oliver Bierhoff. Von Anfang an hatten die Verantwortlichen des DFB ebenso wie die Spieler die Wirkung der Erdogan-Fotos unterschätzt. Die einzige richtige Konsequenz wäre gewesen, die Özil und Gündogan aus dem WM-Kader zu streichen, um für Ruhe zu sorgen. Da hätte auch Bundestrainer Joachim Löw handeln können. Jetzt trägt er nämlich den Rucksack Özil mit sich rum. Wehe, die schlechten Leistungen wiederholen sich in den nächsten Spielen (immerhin ist Weltmeister Frankreich der nächste Gegner), dann wird es heißen „und Özil fehlt halt doch“.

Allerdings: Özil muss mit einem Makel leben, auch in seinem Verein Arsenal London erntete er oft Kritik, dass er besonders in wichtigen Spiele oft „abtauche“, nicht zu sehen sei, statt das Heft in die Hand zu nehmen. Diesbezüglich war Özil vor der WM wirklich ein Wackelkandidat im Hinblick auf die Nominierung (ganz im Gegensatz zu 2014). Bayern-Präsident Uli Hoeneß hat zwar in seiner Art übertrieben, aber ganz unrecht hat er mit seiner Bemerkung „Özil habe seit 2014 keinen Zweikampf mehr gewonnen“ nicht. Gewonnen hat Özil jetzt auch nicht.

Wie auch immer, der Fall Özil zeigt sehr deutlich, wie Berater die Fußball-Stars beeinflussen können und wichtig für die Karriere sind. Leider ist es so, dass viele Berater die Eignung für diese wertvolle Aufgabe abgeht. Der Ruf, es handle sich bei ihnen meist von Abkassierern, kommt nicht von ungefähr. So darf sich derjenige Spieler glücklich schätzen, er gut beraten wird. Mesut Özil macht jedenfalls keinen glücklichen Eindruck.