Am Ende der WM gibt es nur Gewinner
Im Regen ging die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 am Sonntag in Moskau zu Ende, aber der Fußball ging nicht baden. Ganz im Gegenteil, die WM in Russland lief besser ab als befürchtet, die unerwarteten Erfolge des Gastgebers sorgten für gute Stimmung, Putins Reich zeigte sich von seiner besten Seite. Am Ende der WM gibt es eigentlich nur Gewinner, auch wenn sich das im Endspiel unterlegene Kroatien natürlich nicht als solcher fühlen wird.
Gewinner Nummer 1 ist natürlich Weltmeister Frankreich. Es war eine Punktlandung mit dem Titel genau 20 Jahre nach dem ersten Pokalgewinn. Trainer Didier Deschamps ist eine Meisterleistung geglückt, er hat aus einem Haufen talentierter Spieler eine echte Mannschaft geformt (dass, was eben Jogi Löw mit Deutschland nicht geschafft hat). Bestes Beispiel ist die Wandlung von Paul Pogba vom Problemfall zum Mittelfeldstrategen, zur Führungsfigur. Frankreich ist ein würdiger Weltmeister mit einem kompakten Team, aus dem immer wieder der eine oder andere Star heraus stach. Deschamps selbst ist der Dritte der den Titel als Spieler und Trainer holte, der Kapitän der 98er-Weltmeister schloss auf zu dem Brasilianer Zagallo und dem Deutschen Franz Beckenbauer, die bisher als Einzige als Spieler und Trainer erfolgreich waren.
Gewinner Nummer 2 ist trotz Final-Niederlage Kroatien. Das kleine Land kam ganz groß raus und war erfolgreich wie nie. Kleiner Trost, dass es doch noch einen Sieger in den eigenen Reihen gab, denn Kapitän Luka Modric wurde als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet. Die Erfahrung war der Trumpf der Kroaten, gleichzeitig sollte man wohl die Einmaligkeit des Ereignisses feiern, es wird schwer werden, diesen Erfolg in naher Zukunft zu wiederholen.
Gewinner Nummer 3 ist der Dritte, nämlich Belgien. Als die Belgier in der Vorrunde England mit 1:0 besiegten, da wurde dies eher als Unfall gewertet, weil sie sich damit einen schweren Weg ins Finale bescherten. Am Ende trafen sie im Spiel um Platz drei wieder auf England und siegten mit 2:0. Doch bei ihnen geht der Blick in die Zukunft, der größte Teil de Mannschaft befindet sich im besten Fußball-Alter, sie haben mit Kapitän Eden Hazard und Kevin de Bruyne Stars, die den Unterschied ausmachen können. Es ist kein Größenwahn, wenn sie davon sprechen, bei den nächsten Turnieren mehr erreichen zu wollen.
Gewinner Nummer 4 ist England, ja auch der Geschlagene im kleinen Finale kann sich als Gewinner fühlen, denn auch die Mannschaft von Trainer Gareth Southgate hat Werbung für sich betrieben, hat für gute Stimmung im Land gesorgt und gilt als Team der Zukunft. So gelten auch die gleichen Ziele wie in Belgien: Es soll weiter nach oben gehen. Kann es auch.
Gewinner Nummer 5 ist der Videobeweis. Was gab es im Vorfeld angesichts des Chaos vor einem Jahr beim Confed-Cup für Unkenrufe, stattdessen lief es fast perfekt, was eigentlich einem Wunder gleichkommt. Der Videobeweis wurde nur dezent eingesetzt, war dann eine Hilfe und sorgte für Gerechtigkeit. Er darf damit als Vorbild für die Bundesliga gelten. Auch hier muss der DFB also lernen.
Gewinner Nummer 6 ist natürlich Gastgeber Russland, die Stimmung im Land war gut, die Fans aus aller Welt konnten sich fast in einem freiheitlichen Land fühlen, das Putin-Russland verstellte sich nahezu perfekt. Dazu hat die Organisation gestimmt, aber es war natürlich übertrieben, dass FIFA-Boss Infantino von der „besten Weltmeisterschaft aller Zeiten“ sprach. Mit dieser Feststellung hat der Schweizer eher gezeigt, dass seine Aussagen nur auf PR gemünzt sind und nicht auf Wahrheiten. Dennoch, ein kleines Sommermärchen erlebte auch Russland, es wird spannend sein, zu sehen, inwieweit die Bevölkerung in Zukunft Veränderungen bemerkt.
Gewinner Nummer 7 ist der FIFA-Präsident Gianni Infantino selbst. Der Schweizer war überall präsent, gefiel sich neben den Mächtigen der Welt und lächelte in jede Kamera. Er wollte alle Stadien besuchen und alle Mannschaften sehen. Sein Auftritt war eine einzige Werbetour, die eigentlich als abstoßend bezeichnet werden muss. Dennoch war „Der Lächler mit dem Messer“, wie er bezeichnet wurde, ein Gewinner. Ein Gewinner nämlich in seinem persönlichen Ziel, bei der nächsten Wahl wiedergewählt zu werden.
Von Verlierern wollen wir heute nicht mehr reden, aber es wird spannend sein, zu sehen, wie in Deutschland, Brasilien, Spanien und Argentinien die Enttäuschung verarbeitet wird. Auch die Zukunft bleibt spannend, sind doch die Diskussionen um die Erweiterung der WM nicht beendet. Für 2026 ist die Aufstockung von 32 auf 48 Nationen beschlossen, aber Infantino lässt nicht locker, die Welt schon 2022 in Katar damit zu „beglücken“. Was wiederum zeigt, dass es Infantino nicht um den Fußball geht, sondern um seine Macht. Eigentlich ist für einen FIFA-Präsidenten nicht haltbar, eine einmal vom Verband getroffene Entscheidung in Frage zu stellen, zum anderen bringt die WM 2022 im Winter genügend Probleme, da braucht es keine Ausweitung. Aber Vernunft kommt in Infantinos Werbetour nur selten vor.
Eine glückliche Fügung gibt es übrigens für die im September startende Nations League, die ja auch mit viel Skepsis begleitet wird. Einen besseren Start als mit dem Duell des neuen Weltmeisters gegen den alten kann sich die UEFA allerdings nicht wünschen. So kommt am 6. September in München beim Spiel Deutschland – Frankreich auch auf Jogi Löw beim Neuanfang gleich eine große Imageaufgabe zu. Da sollte seine Analyse von der WM-Pleite wirklich gründlich ausfallen.
Es ist ja fast nicht zu glauben, aber am Rande der Fußball-Weltmeisterschaft gab es sogar noch Sportarten, die den Fußball ein wenig verdrängen konnte. Deutschland feierte seine Tennis-Königin Angelique Kerber, die als Wimbledon-Siegerin den Fußball zumindest in Deutschland die Show stahl, und Deutschland freute sich auch über Rad-Star John Degenkolb, der sich seinen Traum von einem Etappensieg bei der Tour de France erfüllte. Beide Sportler erlebten ein großartiges Comeback nach Formtief bzw. Verletzungspause. Es wurde also deutlich, es gibt nicht nur Fußball.
Es folgt in dieser Woche noch ein Kommentar darüber, wie sich der Fußball nach der WM verändern wird.