Die alten Standards sind die neue Zukunft und die große Chance für die Kleinen
Was waren das für Zeiten, als wir mit dem Fußball begannen und beim Kleinstadtverein die Schuhe schnürten. Beim Training wurden u. a. Standards geübt und das Kopfballpendel durfte nicht ausgelassen werden. Beim Profi-Fußball hatte man zuletzt den Eindruck, dass diese sogenannten Basics vernachlässigt wurden, nach dem Motto, „das muss ein Profi sowieso können“. Verlernt er aber, wenn er es nicht ständig trainiert. Die Weltmeisterschaft in Russland brachte jetzt die Erkenntnis, dass die guten alten Standards eine neue Zukunft haben und gleichzeitig sind sie eine große Chance zum Erfolg für die kleinen Vereine. Die WM brachte keine neuen taktischen Erkenntnisse, aber sie kann das Spiel der Zukunft doch wesentlich beeinflusst haben – durch die Renaissance der Standards!
Eines werden die Trainer der Welt gesehen haben: Das „Tika Taka“, mit dem vor allem die Spanier vor Jahren schönen Fußball kreierten und erfolgreich waren, hat sich überholt. Das mussten auch die Deutschen erkennen. Die Klubs haben gegen den Ballbesitz-Fußball Gegenmittel gefunden und dem schönen Fußball mit schnellem Fußball, sprich Umschaltspiel, das Garaus gemacht. Tempo ist angesagt, auf der anderen Seite aber auch Sicherheit. Hast Du den Ball, dann schnell nach vorn. Ansonsten: Hinten dicht. Die Lösung aber für alle Teams, wenn es über das Spielerische nicht klappt, heißt ganz einfach Standardsituation, da hilft die Ecke ebenso wie der Freistoß und künftig vielleicht auch vermehrt wieder der Einwurf. Auch der kann nämlich trainiert werden, damit er einer Ecke gleichkommt (die Dänen haben es vorgemacht). Es wäre klug, diesbezüglich wieder Spezialisten zu schulen.
Die Zahlen der WM waren schon beeindruckend. Von allen WM-Treffern resultierten rund ein Drittel aus ruhenden Bällen. Vier Jahre zuvor in Brasilien waren es gerade 22 Prozent. Jede 30. Ecke wurde bei der WM zu einem Tor verwertet, in der Champions League war es nur jede 45. Die Standards kultiviert hat vor allem Englands Trainer Gareth Southgate, der sogar in Nordamerika beim American Football und Basketball nach Ideen gesucht hat, zum Beispiel einstudierte Laufwege. Damit verblüfften die Engländer die Konkurrenz, als sie im Strafraum hintereinander in einer Schlange standen. Typisch englisch vielleicht: Schlange stehen für ein Tor!
Das ist also der Fußball der Zukunft: Tor-Absicherung als erste Aufgabe, schnelles Umschaltspiel als Schlüssel zum Sieg und gute Standards als Geheimwaffe (die bald nicht mehr geheim ist). Ob dieser Fußball wirklich Spaß macht? Er könnte zumindest spannender werden, weil die Standards die Chance der Kleinen sind, wenn sie sich der spielerischen Übermacht der Großen (sprich Reichen) nicht beugen müssen. Das könnte zum Beispiel das Problem von Bayern München in der Bundesliga werden. Andererseits hat der neue Trainer Niko Kovac bereits angekündigt, dass er vermehrt Standards wird trainieren lassen. Das hat auch sein Freiburger Kollege Christian Streich erkannt, der gefragt wurde, welche Entwicklungen bei der WM am auffälligsten waren: „Die Standards natürlich, sie sind wichtig.“
Eines wurde außerdem deutlich, die Mittelstürmer erlebten ebenfalls eine Renaissance. Die falsche Neun ist nicht mehr gefragt, die echte Neun soll wieder zum Erfolg führen. Der große und kräftige Mittelstürmer hat wieder seine Daseinsberechtigung. Als Ersatz dienen seine großen und kräftigen Kollegen aus der Abwehr, die werden zu verkappten Torjägern – bei Standards nämlich. Die WM hat es gezeigt.
Übrigens sollte auch Bundestrainer Joachim Löw sein Augenmerk auf bessere Standards legen. Aus dem Spiel heraus vergab Deutschland nämlich die meisten Chancen. In der WM-Statistik der Chancenverwertung belegte Deutschland mit 9,5 Prozent aus 21 Chancen den letzten Platz! Der Iran und Panama erreichten 22,2 Prozent – nur so zum Vergleich.