Warum Deutschland nicht Weltmeister wird
Jetzt geht sie los, die Jagd auf den 5. Stern. Also gut, dieses Ziel hat bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland nur die deutsche Mannschaft im Visier. Fünf Sterne hat bisher nur Brasilien. 32 Nationen gehen vom 14. Juni bis 15. Juli auf die Jagd nach einem goldenen Pokal, 36,8 Zentimeter hoch, 6,1 Kilogramm schwer, fünf Kilo Gold wurden verarbeitet und sein Materialwert beträgt angeblich aktuell rund 130.000 Euro. Sein offizieller Name ist „World Cup Trophy“, er wurde 1974 erstmals vergeben und ist jetzt ein Wanderpokal. Vorher gab es den „Jules-Rimet-Pokal“, benannt nach einem ehemaligen FIFA-Präsidenten (klang irgendwie schöner), den aber Brasilien 1970 endgültig gewann.
Die Welt dreht sich im nächsten Monat neben der Weltpolitik und Donald Trump vor allem also um dieses Stück Gold. Die Fans zahlen und wollen jubeln, die FIFA und die Spieler kassieren und wollen am Ende auch jubeln. Deutschland träumt von einer erfolgreichen Titelverteidigung, was einem DFB-Team noch nie gelang. Bundestrainer Joachim Löw weiß also, wie man Titel gewinnt, aber vor Russland wurde es ihm schwer gemacht und er vertraut jetzt darauf, dass er und seinen Mannen den Schalter rechtzeitig umlegen können. Allerdings sind die Vorzeichen nicht so gut, der Sport-Grantler legt dar, warum Deutschland nicht Weltmeister wird.
Da ist erst einmal der Mannschaftsgeist. Er war vor vier Jahren in Brasilien mit dem idyllischen Quartier Campo Bahia extrem ausgeprägt und galt als Basis für den Erfolg. Derzeit wird dieser Geist noch gesucht, er taucht immer nur flüchtig auf und Jogi Löw versucht verzweifelt, ihn zu fassen. Ob er in das russische Quartier Watutinki in einem Wald nahe Moskau hineinweht, wird sich zeigen. Die neun Weltmeister werden wohl mit ein bisschen Wehmut an Campo Bahia zurückdenken. Also die ersten Zweifel.
Löw und sein Team reisen zudem mit einem Rucksack nach Moskau, der türkische Ministerpräsident Erdogan reist als unerwünschter Geist mit. Die unglücklichen Fotos der türkisch-stämmigen Spieler Özil und Gündogan mit dem Autokraten, der demokratische Werte mit den Füßen tritt, haben immer noch Nachwirkungen, die Fans weigern sich, als zwölfter Mann hinter der Mannschaft zu stehen, sondern wandten sich gegen das Team, als Gündogan in Leverkusen auf dem Platz stand. Ein „Waffenstillstand“ ist nicht abzusehen. Bezeichnend, dass der Bundestrainer äußerte, dass ja nicht so viele deutsche Fans in Russland seien, die Pfiffe also nicht so deutlich sein werden. Keine gute Basis für den 5. Stern.
So weit die negativen Begleitumstände, aber auch sportlich ist der 5. Stern eigentlich nicht in Sicht. Die Hoffnung bleibt, dass Deutschland eine Turniermannschaft ist und da wirklich den Schalter umlegen kann. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, denn die Anzeichen sind eher negativ. Stammspieler plagten sich mit Verletzungen, Kapitän Manuel Neuer scheint sie überwunden zu haben, bei Jerome Boateng bleibt ein Fragezeichen, ebenso wie bei Mesut Özil, der in der Vorbereitung passen musste und der erst mal abwarten muss, wie die Fans bei einem Einsatz reagieren. Özil zeichnete sich in wichtigen Spielen bisher nicht durch eine besondere Nervenstärke aus! Außerdem fehlt die absolute Führungsfigur. Ein Hoffnungsträger könnte ausgerechnet Marco Reus sein, die „Rakete“ (Löw), die bisher immer wegen Verletzungen passen musste. Hält er durch?
Probleme hat Jogi Löw auch mit der Abwehr. Vor vier Jahren standen teilweise mit Boateng, Mertesacker, Hummels und Höwedes vier Abräumer vor Neuer, hinten war dicht (auch nachdem dann Lahm wieder seine angestammte Position einnahm). Heute tun sich Löcher auf, weil die Außenverteidiger Kimmich und Hector (außerdem nicht in Form) extrem nach vorne orientiert sind und die Abstimmung fehlt. Die Ausgewogenheit fehlt, auch der bissige Abräumer im Mittelfeld wird gesucht. Khedira soll diese Rolle spielen, aber auch er stürmt lieber. Aber: Nur mit einer starken Abwehr gewinnt man Titel. Das spricht nicht für Deutschland!
Allerdings: Die Sorgen, die Jogi Löw hat, haben auch viele seiner Kollegen. Wenn von den Stars die Rede ist, werden Stürmer genannt. Die Favoriten spielen nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“, vorn mehr Tore schießen als hinten reinbekommen. Dazu gibt es nicht nur beim DFB-Team Hoffnungsträger als Sorgenkinder. Brasilien bangt um den teuersten Spieler der Welt. Neymar soll Brasilien zum Titel schießen, ebenso wie Argentinien eben auf Messi hofft. Er allein wird es nicht richten können, bisher war er immer überfordert und mancher Spieler jammerte schon angesichts früherer Erfolge Argentiniens „wir sind die Generation der Verlierer“. Bei Frankreich soll Paul Pogba Regie führen, der Mittelfeldstratege will der „beste Spieler des Turniers“ werden, war aber zuletzt eher ein Sorgenkind. Schafft er es, dann kann Frankreich mit den überragenden Stürmern Griezmann, Mbappe, Lemar oder Dembele Weltmeister werden.
Übrigens: Wenn man das Turnier der Papierform nach durchrechnet, zeichnet sich ein Halbfinale Frankreich – Brasilien und Deutschland – Spanien ab. Natürlich kann es Spielverderber geben, im Viertelfinale zum Beispiel Portugal gegen Frankreich, England gegen Brasilien, Belgien gegen Deutschland oder Argentinien gegen Spanien. Dies zeigt wiederum, dass die auf 32 Nationen aufgeblähte Weltmeisterschaft so richtig erst mit dem Viertelfinale am 6. Juli beginnt. Bis dahin heißt es hoffen auf Überraschungen (bitte keine negativen für Deutschland), Spaß für die kleinen Nationen, die erstmals dabei sind (Island, Panama!) und Durchhaltervermögen für die meisten am Fernseher. Möge der Beste gewinnen und der Sieger nicht durch den Videobeweis ermittelt werden.