Pleiten, Chaos und Streit – das Innenleben der Fußball-Bundesliga
von knospepeter
Werbe-Strategen behaupten, auch negative Schlagzeilen sind Werbung, Hauptsache im Gespräch. Das hat sich offensichtlich die Fußball-Bundesliga zu Herzen genommen. Der Wintersport drängt mit Weltmeisterschaften in den Vordergrund, doch mit Pleiten, Chaos und Streit hält die Bundesliga dagegen. Die TV-Einschaltquoten und die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit beweisen, Fußball bleibt die Nummer 1. Seltsam, bei den ganzen Schlagzeilen spielt das Aushängeschild FC Bayern München nur ein Nebenrolle. Und bei Pleiten, Chaos und Streit möchte auch Bundestrainer Joachim Löw nicht dabei sein.
Im Mittelpunkt steht aktuell das Chaos bei Schalke 04. Sportlich bereits am Ende hat jetzt das 1:5 in Stuttgart das Fass zum Überlaufen gebracht, am Sonntag wurde „klar Schiff“ gemacht mit Massenentlassungen. Trainer Christian Gross, Sportvorstand Jochen Schneider und Teammanager Sascha Riether, dazu Fitnesstrainer Werner Leuthard (einst ein Guru in der Branche) und Trainer-Assistent Rainer Widmayer (galt mal als der beste Assistent schlechthin) wurden vor die Tür gesetzt. Der Aufsichtsrat handelte, allerdings viel zu spät. Die Geschichte von Schalke ist eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen und einer Team-Planung ohne Geschick und Verstand. Vier Trainer durften sich versuchen, der eine so ungeeignet wie der andere, egal ob der zuerst erfolgreiche David Wagner, Manuel Baum oder Gross (zwischendurch Nothelfer Huub Stevens). Aus dem einstigen „Meister der Herzen“ wurde ein „Meister der Missgriffe“, dessen Entwicklung nur mit Kopfschütteln verfolgt werden kann. Chaos pur. Die Hauptschuldigen bleiben, nämlich die Spieler. Sie sollen jetzt mit Nachwuchschef Peter Knäbel die Saison einigermaßen würdig zu Ende bringen, ihm zur Seite stehen die Schalke-Ikonen Mike Büskens und Gerald Asamoah. Die letzte Chance zur Wende ist am Freitag gegen den Vorletzten Mainz 05. Aber der Klassenerhalt wäre ein Wunder.
Eine Trainer-Entlassung bleibt für die Klubs der erste Versuch zur Wende. So handelte jetzt auch Neuling Arminia Bielelfeld, indem Trainer Uwe Neuhaus entlassen wurde. Gerät der Klassenerhalt in Gefahr, zählen nicht mehr die Meriten der Vergangenheit. Einst gefeiert, bald gefeuert – oft das Schicksal der Aufstiegstrainer. Zwei Heimspiele stehen an, gegen Union Berlin und Werder Bremen. Wirklich die Zeit der Wende? Nicht jedem wird es so leicht gemacht wie dem FC Augsburg. Der profitierte zuletzt zweimal hintereiander von eklatanten Torwartfehlern beim Gegner (Lomb, Leverkusen, und Zentner, Mainz), kassierte vier Punkte und das sorgt für Ruhe im Verein bei wohltuendem Abstand zum Tabellenende. Jetzt geht es zur Hertha, auch dort Chaos, den Trainerwechsel hat der Verein hinter sich, der Erfolg kehrte mit Pal Dardai nicht ein. Jetzt soll der FCA die Punkte abgeben, verteilen im Gegenzug die Augsburger mal Geschenke?
Sportlich erlebte die Bundesliga die kollektive Pleite mit der Bauchlandung von Bayer Leverkusen und der TSG Hoffenheim in der Europa League. Das Ausscheiden beschädigt den Ruf als beste Liga in Europa, egal ob gegen den Schweizer Meister Bern oder die Norweger aus Molde, die sich ja eigentlich in der Winterpause befinden, das Ausscheiden war eine Blamage, auch wenn es für die UEFA-Jahreswertung kaum eine Rolle spielt. Der gute internationale Ruf wurde aber auf jeden Fall beschädigt mit Niederlagen gegen Gegner „aus der zweiten Reihe“.
Leverkusen gehört auch national zu den Sorgenkindern. Natürlich geht es um den Trainer. So steht Peter Bosz vor einem Rätsel. Am 12. Spieltag war Leverkusen mit 28 Punkten noch ungeschlagener Tabellenführer, ehe die 1:2-Niederlage gegen die Bayern auch den Niedergang einleitete, der jetzt in sechs Niederlagen in acht Spielen gipfelte. Zwar war auch Bayer, wie fast jeder Vereine, vom Verletzungspech gebeutelt, aber das allein erklärt den Absturz nicht. Sportdirektor Rudi Völler bewahrt (noch) die Ruhe und hofft auf die Wende, die Peter Bosz schon einmal gelang. Der Trainer sieht spielerisch einen Aufwärtstrend trotz des 1:2 gegen Freiburg, aber Tore und eben die richtigen Ergebnisse, nämlich Siege, fehlen. Noch ist es Rang 6, was Europa League bedeutet, doch Bayer möchte in die Champions League und sind es fünf Punkte Rückstand auf Frankfurt.
Um den Trainer geht es auch bei Mönchengladbach, weil die Borussia noch weiter von der Sehnsucht Champions League entfernt ist. Platz 9 und noch vier Punkte weniger als Leverkusen, das ist nicht das, was man sich ausgerechnet hatte. Die Schuld wird von außen schnell bei Trainer Marco Rose gesucht, der bekanntlich schon in Dortmund im Wort steht. Kann er also seine Mannschaft noch begeistern? Wechseltheater und Krise gingen Hand in Hand. Auch Manager Max Eberl will die Nerven behalten, das Spiel der Spiele folgt im DFB-Pokal, wo in Gladbach ausgerechnet Borussia Dortmund der Gegner ist! Marco Rose wird seine jetzigen Jungs sicher heiß machen, denn wenn seine künftige Mannschaft schon in diesem Jahr den Pokalsieg feiert, wird sein Einstieg ein Stückchen schwieriger! Lieber verabschiedet er sich in Gladbach mit einem Titel. Eine verrückte Konstellation.
Streit gibt es zusätzlich zur Genüge, einen besonderen Zwist tragen Bremen und Frankfurt aus. Die Erfolgsserie der Hessen wurde im Norden jäh gestoppt, doch die Atmosphäre war vergiftet. Bei Werder gehen sie mit besonderen Mittel gegen die Geisterkulisse vor, mit Krach von der Bank wollen sie für Stimmung sorgen, manchmal sehr zum Missfallen der Gegner. Besonders giftig war es jetzt gegen die Eintracht, die beschwerte sich über „böse Geister“.
Pause bei den europäischen Wettbewerben, dafür gibt es den DFB-Pokal. Aber auch da schlägt Corona zu, der Partie Regensburg – Bremen droht wegen Corona-Fällen bei Jahn die Absage. Dagegen steht Dortmund vor der heißen Phase der Saison, Weichenstellungen in drei Schlagerspielen: Zuerst gegen Gladbach geht es um das Weiterkommen im Pokal, am Samstag (18.30 Uhr) das Schlagerspiel bei Bayern München, das nicht verloren werden darf, um den Anschluss an die CL-Plätze nicht zu verlieren, dann das Rückspiel in der Champions League gegen Sevilla. Der Rückenwind für die entscheidenden Spiele gibt es mit drei Siegen in Folge. Das zweite Schlagerspiel bestreiten Leipzig und Wolfsburg, hier will vor allem RB auf der Erfolgswelle bleiben, schließlich hat Trainer Julian Nagelsmann von einer Titeljagd gesprochen. Das ist in Pokal und Meisterschaft noch möglich. Der Exot im Viertelfinale ist Viertligist Rot-Weiß Essen, jetzt hofft man auf den Coup Halbfinale mit einem Sieg gegen Kiel. Die erste Niederlage in der Regionalliga kam da allerdings zur falschen Zeit.
Die Bayern sind im Pokal nach dem Ausscheiden in Kiel nur Zuschauer, eine ungewohnte Rolle. Seltsam: Die spielen sie im Moment gern, nach dem Titel-Sixpack der letzten Saison schadet ein bisschen Ruhe nicht und auf den DFB-Pokal verzichten sie scheinbar am ehesten. Dafür gibt es zwei ruhige Trainingswochen nur mit Spielen am Wochenende. Trainer Hansi Flick freut sich auf Trainingstage und darauf, wieder mal einiges üben zu können, zum Beispiel die Abwehr stabilisieren. Bayern macht sich fit für den Saison-Endspurt. Dortmund soll es merken.
Pleiten, Chaos und Streit – davon will sich Bundestrainer Joachim Löw distanzieren. Er hat jetzt in einem großen Interview in der Fachzeitschrift kicker über die Zukunft geplauert und spricht natürlich von Erfolgen. Und um jeglichen Streit zu unterdrücken, hat er auch die Möglichkeit der Rückkehr von Hummels, Boateng und Thomas Müller angesprochen, wenn er Umbruch zur Europameisterschaft im Sommer vielleicht unterbrochen werden muss. Es kann ja nie schaden, sich eine Hintertür offen zu halten und alles zu tun, um die Stimmung nicht zu trüben. Da haben die Trainer im Abstiegskampf halt ganz andere Sorgen.