Die Fußball-EM 2020 wird 2021 ein Turnier der Hoffnung
von knospepeter
Als die Bosse der UEFA rund um Präsident Michel Platini (Frankreich) die Idee hatten, anlässlich des Jubiläums 60 Jahre Fußball-Europameisterschaft das Turnier 2020 zu einer Veranstaltung in ganz Europa zu machen, da hatte dieser Plan wohl durchaus seinen Reiz. Wer dachte bei den paneuropäischen Spielen schon an den Klimaschutz, Flugreisen waren alltäglich, von Corona war keine Rede und die Fans würden schon mitmachen und einen Weg und Geld finden, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Im Vorfeld musste Michel Platini danach viel Kritik für diese Idee einstecken und die Corona-Pandemie führte den Plan fast ad absurdum. Flugreisen, Zuschauer, ständiger Ortswechsel – alles war plötzlich verpönt. Und Covid-19 zwang dann sogar zur Absage bzw. zur Verlegung. 2021 ist die Fußball-EM inzwischen zu einem Turnier der Hoffnung mutiert – aus unterschiedlichen Gründen.
1960 wurde erstmals um einen Europatitel gespielt und der Vorläufer der Europameisterschaft, damals „Europapokal der Nationen“ genannt, war auch so etwas wie ein Turnier der Hoffnung. Damals sollte aus den Anfängen mit 17 Nationen, die gemeldet hatten (Deutschland und England waren u. a. nicht dabei) etwas Großes entstehen. Die erste Endrunde mit vier Mannschaften wurde in Frankreich gespielt, erster Europameister war die Sowjetunion mit einem 2:1 nach Verlängerung gegen Jugoslawien. Staatenbünde, die es heute nicht mehr gibt. Bei der EM 2020, so heißt sie noch, sind 24 Nationen am Start, gespielt wird in sechs Gruppen in elf Ländern bzw. elf Städten und nach Fortschritten in der Pandemie-Bekämpfung dürfen auch Zuschauer dabei sein. Hoffnung Nummer 1: Rückkehr zur Normalität im Fußball mit Fans auf den Rängen. Die Sehnsucht nach vollen Rängen ist groß.
Die Fans und Kritiker des heutigen Profi-Fußballs haben aber auch die Hoffnung, dass der Fußball rund um die EM ein wenig in sich geht und Abschied nimmt vom protzigen Gehabe der Vor-Corona-Zeiten. Mehr Demut wird eingefordert, mehr Normalität könnte schon jetzt in den elf Städten zum Vorschein kommen. An die guten alten Zeiten soll dann das nächste Turnier 2024 in Deutschland anknüpfen. Von Bescheidenheit ist da die Rede. Diese Hoffnungen sollten auch nicht dadurch zunichte gemacht werden, dass geldgierig Funktionäre immer mehr Spiele und mehr Einnahmen wollen. So muss dem Plan, eine Weltmeisterschaft alle zwei Jahre auszutragen, ein Riegel vorgeschoben werden. Das würde das Ende der Kontinentalturnier bedeuten.
Jede Endrunde ist sportlich aber ein Turnier der Hoffnung. Natürlich haben nicht alle der 24 Teilnehmer Chancen auf den Titelgewinn, ganz im Gegenteil, der Kreis der absoluten Favoriten ist klein. Geht es nach den Lesern des Fachmagazins kicker, dann wird Weltmeister Frankreich jetzt auch Europameister. Bei einer Umfrage sahen 36 Prozent die „Blues“ vorn, 16 Prozent trauen immerhin Deutschland den Sieg zu, danach folgen Belgien (13,8), England (13,3) und Spanien (8). Damit sind die Favoriten genannt. Aber vergessen wir auch Titelverteidiger Portugal nicht oder die Niederlande. Überraschungen sind bekanntlich an der Tagesordnung.
Deutschland wurde bisher dreimal Europameister, 1972 (vielleicht die beste Mannschaft aller Zeiten), 1980 und 1996. Beim letzten Titelgewinn gab es Parallelen zu heute, weil die Gruppe mit Tschechien, Italien und Russland als „Todesgruppe“ galt. Die Vogts-Schützlinge gaben nur gegen Italien (0:0) einen Punkt ab und marschierten über Kroatien (2:1) und England (1:1, 6:5 nach Elfmeterschießen) ins Finale. Dort war dem DFB-Team das Glück hold, ohne dem man keinen Titel gewinnt. Oliver Bierhoff erzielte gegen Tschechien in der Verlängerung (1:1) in der 95. Minuten das historische „Golden Goal“, das erstmals eingeführt wurde.
Mit Glück allein geht es natürlich nicht, aber Deutschland hat wieder eine Todesgruppe. Vor allem der Auftakt am Dienstag, 15. Juni, gegen Weltmeister Frankreich hat es in sich. Zwei Favoriten unter sich, es könnte auch das Endspiel sein. In der ewigen EM-Tabelle liegt Deutschland (12 Teilnahmen, 90 Punkte) vor Frankreich (9/69). Eine Weichenstellung? Es folgen Europameister Portugal (Samstag, 19.) und Außenseiter Ungarn (Mittwoch, 23.). Bundestrainer Joachim Löw ist in seinem letzten Turnier also gefordert, vor allem die Offensivkraft der Franzosen imponiert mit Mbappe, Griezmann, Coman, Benzema, Pogba, Dembele oder Giroud. Löw wird wohl mit einer Dreierkette dagegenhalten, viele meinen, dies sei eine Kette der Angst.
Die deutschen Stärken liegen in der Gruppenbildung der Bayern und der Champions-League-Sieger von Chelsea London. Die Achse Neuer-Hummels-Kimmich-Müller steht, wobei Kimmich vielleicht doch in den sauren Apfel beißen muss und auf der rechten Seite spielen, weil es dort Schwächen gibt. Die Dreierkette ist auch deshalb seltsam, weil es vor allem im Mittelfeld ein Überangebot gibt und dort noch einer weniger zum Einsatz kommt. Dies ist die spannendste Frage, auf wen Löw verzichtet: Kroos, Goretzka (vorerst verletzt), Gündogan, Müller oder Havertz? Für und Wider gibt es bei jedem Namen. Und wer schießt die Tore? Ein echter Torjäger fehlt. Wie auch immer, die Löw-Schützlinge sollten sich die U21 als Vorbild nehmen, die als geschworene Gemeinschaft auftrat und Europameister wurde. Eine der Stärken könnte aber auch der Heimvorteil in München sein, mit erlaubten 14.500 Zuschauern.
U21 und Eishockey als Vorbild
Die große Gemeinschaft im Team wird auch bei der A-Nationalmannschaft immer betont, aber was die U21 angeht, da könnte Löw bei Stefan Kuntz etwas lernen. Der Gute-Laune-Onkel scheint wirklich der geeignete Mann für den Nachwuchs zu sein, fünf Jahre ist er jetzt verantwortlich und holte bei drei Turnieren zweimal den Sieg! Nur 2019 klappte es nicht, aber im Finale war man schon. Kuntz hatte ein Team ohne Stars, er vertraute Spielern, denen die Trainer in den Vereinen nicht unbedingt vertrauten, er beklagte teilweise deren mangelnde Spielpraxis in der Bundesliga und griff lieber auf Stammspieler der zweiten Liga zurück. Der Zusammenhalt brachte den Erfolg, einzig Lukas Nmecha stach hervor, der Stürmer, der in Wolfsburg Lehrgeld zahlte und beim RSC Anderlecht jetzt Stammspieler ist, erzielte auch das entscheidende 1:0 im Finale gegen Portugal und wurde mit vier Treffern Torschützenkönig des Turniers. Da wäre er also, der Torjäger, doch von Bundesliga-Interesse hört man nichts.
Die Mannschaft ist der Schlüssel zum Erfolg hieß es auch im Eishockey. Bei der Weltmeisterschaft in Riga/Lettland verpasste das DEB-Team ein Eishockey-Wunder nur knapp. Schlüsselspiel war die 1:2-Niederlage im Halbfinale gegen Titelverteidiger Finnland, das Glück fehlte bei aufopferungsvollen Kampfgeist. Heldenhaft warfen sich die Kufencracks in die Schüsse des Gegners, zeigten Kampfgeist ohnegleichen, aber vielleicht fehlte in entscheidenden Situationen doch das Quäntchen Klasse. Bei einer der WM der Überraschungen, weil bei allen die großen Stars fehlten, wurde am Schluss Kanada Weltmeister, das Kanada, das mit einer jungen Mannschaft mit drei Niederlagen (unter anderem gegen Deutschland) startete. Auch hier also ein Hinweis: Fehlende Klasse kann ausgeglichen werden.
Fehlende Klasse kann man den Frauen von Bayern München nicht nachsagen. Sie zeigten sie in der Deutschen Meisterschaft und brachten mit einem 4:0 über Eintracht Frankfurt den Titel unter Dach und Fach. Ein Start mit 17 Siegen in Folge, 20 von 22 Spielen gewonnen, sagt alles. Zwei Punkte Vorsprung hatten sie vor dem letzten Spieltag vor Titelverteidiger VfL Wolfsburg, der die letzten vier Jahre vorne lag, nachdem die Bayern 2016 und 2015 sowie davor 1976 Deutscher Meister wurden. Jetzt wollen die Bayern-Mädchen eine Ära prägen, sie wollen auch auf Europas Bühne in der Champions League angreifen, mit Japans Mittelfeldass Saki Kumagi haben sie einen Weltstar verpflichtet. Mit Lyon war sie erfolgreich, galt als Herz der Mannschaft und verzichtet angeblich in München auf Geld, weil sie von der Mannschaft überzeugt ist. Auch bei den Bayern-Mädchen galt das gute Miteinander als Basis für den Erfolg. Vielleicht noch ein Vorbild für Joachim Löw und seine Jungs.