Formel-1-Thriller: Ein Mann geht über Leichen
von knospepeter
Wird der 12. Dezember 2021 ein historisches Datum in der Formel 1? Erstmals seit 1974 gehen zwei Fahrer punktgleich in das letzte Rennen der Saison. Erstmals gibt es allerdings die Angst, dass die Saison mit einer Katastrophe enden könnte, denn die letzten Rennen bewiesen: Max Verstappen, der 24jährige Heißsporn, der seinen Vorsprung inzwischen eingebüßt hat, kennt keine Hemmungen, wie im TV-Thriller von 1996 „Jim Profit – Ein Mann geht über Leichen“, scheint es, dass der Niederländer auch so denkt „Ein Mann geht über Leichen“. Jedenfalls wird Max Verstappen keinem Crash aus dem Wege gehen. Sein Vorteil: Scheiden er und sein Konkurrent Lewis Hamilton beide aus, ist Verstappen Weltmeister, weil er neun Saisonsiege zu verzeichnen hat, Hamilton deren nur acht.
Zur Erinnerung, es wäre nicht das erste Mal, dass in der Formel 1 mit Unfällen die Weltmeisterschaft entschieden wird. 1989 und 1990 galten die Teamkollegen Ayrton Senna und Alain Prost im McLaren als die größten Rivalen im Motorsport, zweimal crashten sie im letzten Rennen, einmal wurde Prost Weltmeister, einmal Senna. 1994 holte sich Rekord-Weltmeister Michael Schumacher mit einem Crash seinen ersten Titel. Als Konkurrent Damon Hill ihn zu überholen versuchte, kam es zum Unfall. Schumacher fiel sofort aus, Hill wäre Weltmeister gewesen, doch er musste später ebenfalls seinen Wagen abstellen, so war Schumacher der Glückliche. Sieben Titel hat er dann gewonnen, Lewis Hamilton hat ihn inzwischen eingeholt.
Am Sonntag in Abu Dhabi könnte der 36jährige Engländer mit dem achten Titelgewinn alleiniger Rekordweltmeister werden. Er könnte unsterblich in der Sportgeschichte werden, doch dann müsste er einen Crash überstehen oder ihm aus dem Wege gehen. Max Verstappen wird mit dem Messer zwischen den Zähnen kämpfen. „Er wird alles versuchen, um den Sieg zu holen, das ist sicher“, kündigte Vater Jos Verstappen an. Das letzte Rennen in Dschidda in Saudi-Arabien war bereits der Beweis. Verstappen brach die Regeln, sein Fahrstil war an Rücksichtslosigkeit nicht zu überbieten, einschließlich verbotener Bremsmanöver. Die Strafen von einmal fünf und einmal zehn Sekunden waren lächerlich, aber vor einer Disqualifikation scheuten die Formel-1-Bosse zurück, sie wollten sich nicht das eigene Geschäft kaputtmachen. Nach Jahren der Langeweile ist der Formel-1-Thriller schließlich ein Glücksfall als Werbung.
Der Yas Marina Circuit hat schon viele bedeutungsschwere Rennen zum Finale der Formel 1 gesehen. Sebastian Vettel war beim Debüt 2009 erster Sieger und holte dort 2010 mit Red Bull seinen ersten WM-Titel. Davon träumt jetzt auch Verstappen, der sogar Titelverteidiger ist, vor einem Jahr gewann er in Abu Dhabi. Lewis Hamilton ist allerdings mit fünf Erfolgen Rekordsieger (vor Vettel mit drei), hat aber auch schlechte Erinnerungen, so, als er 2016 mit Ausbremsmanövern nicht verhindern konnte, dass sein Teamkollege Nico Rosberg Weltmeister wurde. Der beendete danach entnervt seine Karriere. Jetzt sieht sich Hamilton einem Gegner gegenüber, der Bremsmanöver höchstens als Kinkerlitzchen ansieht. Verstappen greift notfalls sicherlich zu härteren Maßnahmen – er ist ein Mann, der über Leichen geht!
Entscheidend wird wieder einmal der Start (um 14.00 Uhr MEZ) sein. Zuletzt kam Verstappen besser weg, hatte die kürzere Reaktionszeit. Sollte die erste Kurve unfallfrei überstanden werden, gibt es Hoffnung auf ein Rennen, gibt es Hoffnung auf echten Sport, wobei in der Formel 1 noch die Taktik beim Reifenwechsel eine große Rolle spielt. Eine große Rolle könnten aber auch die zweiten Fahrer in den Teams spielen. Valtteri Bottas konnte zuletzt Hamilton bei Mercedes nicht richtig helfen, kämpft selbst noch um Platz drei in der WM. Sergio Perez ist bei Red Bull vielleicht der schnellere Mann, allerdings konnte er das zuletzt nicht unter Beweis stellen. Beide Kontrahenten träumen davon, mit ihrem Teamkollegen die erste Startreihe zu bilden. Hamilton wiederum kann bei einem schlechteren Start noch auf das schnellere Auto vertrauen. Sein Gegner weiß allerdings, wie man den Konkurrenten ausbremst. Nebenbei geht es auch um die Teamwertung, in der Mercedes mit 587,5 Punkten klar vor Red Bull (559,5 führt).
Es ist also angerichtet, hoffentlich bringt der Krimi-Nachmittag in der Formel 1 Spaß, ehrlichen Sport und keine Katastrophe. Dem übertragenden Pay-TV-Sender Sky dürfte er hohe Einschaltquoten bescheren. RTL ist diesmal nicht dabei, hat sich aber bei der Übertragung von Saudi-Arabien blamiert, als es das Spektakel wegen eines Jahresrückblicks mit Günther Jauch ausblendete. Pech gehabt, die Formel 1 interessierten mit 3,5 Millionen mehr Zuschauer als danach Herrn Jauch (nur 3 Millionen). Ein Umschalten auf ntv sahen die Fans wohl nicht als attraktiv an, die Mehrheit schaltete ab. Das würde am Sonntag nicht passieren.