Olympia als Zugpferd, Olympia als Hindernis
von knospepeter
Die European Championships, die vom 11. bis 21. August in München ausgetragen werden, sind ja eigentlich eine gute Idee. Es ist ein Zusammenschluss von Sportarten, die ansonsten meist im Schatten leben und selten in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Die Ausnahme ist sicherlich Leichtathletik. Aber vor den Wettkämpfen in München war immer von Olympia die Rede. Einmal sollte die olympische Idee als Zugpferd dienen, der Verweis darauf, dass München wohl vor allem deshalb die Championships bekommen hat, weil es schön als Jubiläum 50 Jahre nach den Olympischen Sommerspielen 1972 passt. So war jetzt oft von München 2022 die Rede. Der Blick auf Olympia kann aber auch Hindernis sein. Die Championships wollen keinen Gigantismus, es sollen keine Meisterschaften des Kommerz sein, sondern die teilnehmenden Sportarten wollen vor allem das Publikum mit einbinden, natürlich aber auch im Fernsehen vertreten sein. Der deutsche Weitsprung-Star Malaika Mihambo hat das Motto vorgegeben: „Sport ist mehr als nur Fußball.“
Eines darf man aber nicht vergessen: München hatte bekanntlich Interesse an den Olympischen Winterspielen 2022, wollte die erste Stadt sein, die Olympia im Sommer und Winter austrägt. Doch die Bevölkerung konnte dafür nicht begeistert werden, vor allem die Umweltschützer wehrten sich, ein Referendum ließ die Idee scheitern. Dafür wurde Peking die erste Stadt mit Sommer- und Winterspielen. In China haben weder die Bevölkerung noch die Umweltschützer etwas zu sagen.
Jetzt also dafür die European Championships, die zum zweiten Mal nach Glasgow 2018 ausgetragen werden. Europameisterschaften in neun Sportarten, etwa 4700 Athletinnen und Athleten am Start, 177 Goldmedaillen werden vergeben. Der Olympiapark, das attraktive und gepflegte Erbe der Spiele 1972, wird im Mittelpunkt stehen, aber die ganze Stadt soll den Sport atmen. Beachvolleyball und Klettern finden am Königsplatz statt, Straßenradfahren, Marathon und Gehen enden am Odeonsplatz, Bahnradsport gibt es in Riem, Rudern und Kanu auf der Olympia-Regattastrecke in Oberschleißheim, Tischtennis in der Rudi-Sedlmayer-Halle, Turnen in der Olympiahalle, Leichtathletik im Olympiastadion und dazu Mountainbike, BMX und Triathlon verteilt im Olympiapark, der ein Erlebnispark sein soll. Die Zuschauer werden zum Teil mit freiem Eintritt angelockt, manche Finaltage, wie Beachvolleyball zum Beispiel, sind schon ausverkauft. Viel Platz wäre im Olympiastadion (55.000), aber die Leichtathleten wären mit 30.000 schon froh und hoffen auf gute Stimmung. Wer nicht live zuschauen kann, wird bei ARD und ZDF im Fernsehen gut bedient. Die Sender übertragen täglich 14 Stunden live im TV und im Stream, sind auch im Abendprogramm auf Sendung. Die Hoffnung auf Aufmerksamkeit erfüllt sich für die Sportarten.
Für die Sportlerinnen und Sportler sind die European Championships der Höhepunkt im Sportjahr, doch auch Weltmeisterschaften standen im Weg, weil wegen Corona manche Titelkämpfe verlegt wurden. So kämpften die Leichtathleten gerade in Eugene in Oregon/USA um Medaillen, die Kanuten kommen fast direkt von den Weltmeisterschaften in Halifax. Dennoch wollen sie in München an den Start gehen. Wollen muss es immer heißen, denn im Vorfeld haben Corona-Erkrankungen manche schon gestoppt. Leidtragende war mit Malaika Mihambo auch das Aushängeschild der Championships. Die weltbeste Weitspringerin erkrankte an Corona und musste eine Trainingspause einlegen, wird nach Gold in Eugene also nicht in Bestform antreten können, will aber die Qualifikation am Dienstag und das Finale am Donnerstag bestreiten.
Deutsche Erfolge wären überhaupt die beste PR für die Wettkämpfe, auf die Leichtathleten darf man da wohl weniger hoffen, die erlebten bei der WM einen Tiefpunkt. Neben Mihambo glänzten nur die „Golden Girls“, die Frauen-Staffel über 4×100 m, mit Bronze. Sie wollen in München jetzt den Titel. Im Blickpunkt stehen aber auch die Kanuten mit den Weltmeistern Sebastian Brendel und Tim Hecker, Ruderer Oliver Zeidler, der in Oberschleißheim auf den Spuren seines Opas wandelt, der 1972 bei Olympia Gold gewann. Im Radsport ist einiges möglich, im Tischtennis sowieso und auch im Klettern.
Die Athletinnen und Athleten freuen sich aber vor allem auf Wettkämpfe in olympischen Stadien, hoffen auf olympisches Flair und freuen sich auf besondere Medaillen, die echte Schmuckstücke sein sollen. Die dreieckige Form wurde von 2018 in Glasgow übernommen, der Schliff soll das Zeltdach stilisieren und im verschlungenen Band sind die Piktogramme von 1972 zu erkennen. Ein Maskottchen gibt es auch, der beliebte Waldi von 1972 erlebt keine Neuauflage, dafür gibt es das Eichhörnchen „Gfreidi“, weil Eichhörnchen Dauergäste im Olympiapark sind.
Der Olympiapark erlebt also wieder einmal einen sportlichen Höhepunkt, nachdem der große Fußball ausgezogen ist. Der Park soll ja Weltkulturerbe werden und kann beweisen, dass München 1972 Vorbild für alle Olympiastädte ist: Nirgends sonst gab es so eine sinnvolle Nachnutzung der Stadien. Insofern können die European Championships doch Klein-Olympia genannt werden. Vermisst wird höchstens das Schwimmen, das leider parallel die Titelkämpfe in Rom austrägt. Schade drum, die Schwimmhalle hätte auf einen Spitz-Nachfolger gewartet… Dafür freut sich Malaika Mihambo, dass sie erstmals im Olympiastadion springen darf, das wird sie trösten, wenn die Form auch nicht die beste sein kann. Fünf Tage nachdem die Championships enden, hatten am 26. August vor 50 Jahren die Olympischen Sommerspiele 1972 begonnen!