Nagelsmann war zu jung für den FC Bayern

von knospepeter

Typisch für den Fußball in Deutschland: Da soll die Nationalmannschaft erstmals nach der missglückten Weltmeisterschaft in Katar wieder einmal im Mittelpunkt stehen – da stiehlt ihr Dauer-Meister Bayern München die Show, nach dem alten Motto des FC Hollywood „die Schlagzeilen gehören uns“. Dass die Bayern die Fußball-Welt derart überraschen können wie mit der Entlassung von Trainer Julian Nagelsmann kommt allerdings selten vor. In allen drei großen Wettbewerben noch im Rennen, das „Endspiel“ gegen Borussia Dortmund und den Vergleich mit Manchester City in der Champions League vor der Brust – und gerade jetzt den wichtigsten Mann im Verein wechseln. Was war da los?

Die Bayern-Bosse Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic müssen bei der Bestandsaufnahme nach der folgenschweren 1:2-Niederlage in Leverkusen Panik bekommen haben. Was da auf Platz zwei in der Bundesliga steht, kann nicht der „richtige“ FC Bayern sein. Im Jahr 2023 gab es keine Konstanz, unverständliche Aufstellungen sorgten ebenso für Kopfschütteln wie seltsame Auswechslungen. Nagelsmann machte sich vor allem auch neben dem Platz angreifbar, seine Äußerungen waren mal überheblich, mal egoistisch, mal sogar beleidigend. Dazu kamen das Problem „Maulwurf“ mit Schuldigensuche, als Internas nach außen drangen, und das Problem Freundin, eine Bild-Reporterin. Das Minus-Konto schwoll an. Jetzt hatten es die Bosse eilig, weil mit Thomas Tuchel ein Ersatz parat stand, der allerdings schon auf dem Sprung zu Tottenham war und auch bei Real Madrid auf dem Wunschzettel stand. Deshalb das überstürzte Handeln in München. Thomas Tuchel ist glücklich, doch werden sie auch bei den Bayern glücklich?

Klar ist, für Julian Nagelsmann war der FC Bayern zu der Zeit einfach eine Nummer zu groß. Er war mit 33 Jahren und ohne Erfahrung bei großen Vereinen noch zu jung für dieses Haifischbecken, das er forsch erobern wollte. Allerdings muss sich vor allem Sportvorstand Hasan Salihamidzic hinterfragen, er zeigt kein glückliches Händchen bei den Trainer-Verpflichtungen und versteht sich ohne Rücksicht auf die Millionenverluste aufs Heuern und Feuern. Julian Nagelsmann gilt weiterhin als Trainer-Talent, warum aber musste es ein Fünf-Jahres-Vertrag sein, der erst 2026 endet? Wenn man ihn schon als Zukunftsprojekt ansah, dann muss man auch mal Schwächeperioden durchstehen. Doch Erfolg war Pflicht, das Aus gegen Villarreal vor einem Jahr hängt nach. Salihamdzic betont auffällig oft, Nagelsmann hätte die Kabine verloren, was höchstens zum Teil stimmen kann. Erstaunlich, wie Kimmich und Goretzka den Trainer loben, Neuer und Müller zum Beispiel blieben still. Thomas Tuchel wird keine leichte Situation vorfinden.

Mit Nagelsmann musste auch seine Trainer-Crew gehen, nur Fitness-Spezialist Dr. Holger Broich und der neue Torwarttrainer Michael Rechner bleiben. Tuchel (Vertrag bis 2025) bringt seine erfahrenen Gefährten mit, neben Arno Michels gilt vor allem Zsolt Löw als einer der besten Co-Trainer, der jederzeit als Chef arbeiten könnte, aber er bleibt lieber bei „TT“. Tuchel hat mit seinen Stationen Paris St. Germain und Chelsea London, mit dem er überraschend 2021 die Champions League gewann, das, was Nagelsmann fehlt: Erfahrung. Der 49-jährige hat vor allem auch Erfahrung mit exzentrischen Stars und ungeduldigen Bossen. Auch menschlich soll sich Tuchel geändert haben, gilt nicht mehr als mürrisch und eigenbrötlerisch und machte bei seiner Vorstellung bei den Bayern von allen den besten Eindruck. Den „Preis für besten Hauptdarsteller“ verlieh ihm die Süddeutsche Zeitung.

Am Samstag (18.30 Uhr) steht jetzt die große Bewährungsprobe an. Dortmund kommt als Tabellenführer, ist national in diesem Jahr noch ungeschlagen und hat zehn Punkte mehr geholt als die Bayern. Dortmund war nicht Dortmund, die Bayern waren nicht die Bayern. Die Borussen wanken und zweifeln nicht. „Im Training haben alle eine geile Einstellung“, freut sich Emporkömmling Marius Wolf. In Dortmund sind sie glücklich, aber nicht mit dem Blick auf die Statistik. Der letzte Sieg in München gelang am 12. April 2014, ein 3:0. Danach gab es acht Niederlagen am Stück mit einer Bilanz von 6:33 Toren! Aber im Moment ist ja alles anders…Hinter diesem Duell verblasst alles andere in der Bundesliga, auch das Rhein-Derby Köln – Gladbach (Sonntag, 15.30 Uhr).

Bayern- Frauen als Vorbild

Wie man den Tabellenführer stürzt, das machten die Bayern-Frauen den Männern vor. In der Frauen-Bundesliga dominierte zuletzt der VfL Wolfsburg, jetzt schafften die Münchnerinnen mit einem 1:0-Sieg erstmals wieder den Sprung an die Spitze. Zuletzt hatten sie im November 2020 gegen Wolfsburg gewonnen, die Wölfinnen waren das ganze Jahr 2022 ohne Niederlage geblieben, jetzt sieht es nach Niederlagen gegen Hoffenheim und die Bayern anders aus. Aber aufgeben gilt nicht, sechs Spieltage stehen noch an, ein Punkt Vorsprung ist fast nichts. Bayern-Trainer Alexander Straus warnt seine Mädchen: „Wir müssen wachsam bleiben. Jetzt sind sie die Jäger und werden uns jagen.“

Im Spitzenspiel waren die Bayern die bessere Mannschaft, einen Torerfolg verhinderten zunächst Aluminium und die überragende Nationaltorhüterin Merle Frohms. Die Entscheidung fiel durch einen Handelfmeter in der 84.Minute, den die ebenso überragende Georgia Stanway verwandelte. Die englische Europameisterin erweist sich als die entscheidende Verstärkung für die Bayern und könnte das Team zum vierten Titel nach 2015, 2016 und 2021 führen. Daneben holte sich seit 2013 Wolfsburg siebenmal die Meisterschaft.

Für beide Mannschaften stehen in dieser Woche noch die bedeutenden Aufgaben in der Champions League an. Mit 1:0-Siegen verschafften sie sich gute Ausgangspositionen. Für Bayern gilt es am Mittwoch (21.00 Uhr) bei Arsenal London den Vorsprung zu verteidigen, Wolfsburg erwartet am Donnerstag (18.45 Uhr) Paris St. Germain zum Rückspiel. Kommen beide durch, gibt es die nächsten Gipfeltreffen im Halbfinale (22./23. und 29.30. April), aber schon am 15. April muss Wolfsburg im Halbfinale des DFB-Pokals wieder in München antreten. Beste Werbung für den Frauen-Fußball ist garantiert.

Flick mit neuem System

Ja, die Nationalmannschaft geht fast unter, bei all den Bayern-Schlagzeilen. Dabei schaffte es Bundestrainer Hansi Flick mit seinen Mannen im ersten Spiel nach der WM-Pleite für einen guten Eindruck zu sorgen. Gut, das 2:0 gegen Peru war jetzt nicht die große Show, die Begeisterung bei 6,4 Millionen Zuschauern an den Bildschirmen war auch nicht so groß, doch der Eindruck insgesamt war positiv. Hansi Flick hat sich zunächst einmal mit einem Blick auf sein Personal auf ein neues System festgelegt. Nicht Dreier- oder Viererkette stehen im Vordergrund, sondern ein kompaktes Mittelfeld mit Verzicht auf Außenstürmer. Diese Aufgabe übernehmen die Außenverteidiger, was Neuling Marius Wolf hervorragend, David Raum weniger gut gelang.

Im 4-2-2-2 ist vor allem Tempo angesagt, Flick hatte neben Kimmich Emre Can als Absicherung gestellt, eine Rolle, die dieser in Dortmund derzeit hervorragend ausfüllt. Davor sollten Havertz und Wirtz für Schwung sorgen, in der Doppelspitze war Werner für schnelle Vorstöße zuständig, Niclas Füllkrug für die Tore. Der Bremer erfüllte seine Aufgabe am besten und Flick muss sich noch nachträglich ärgern, dass er Füllkrug bei der WM zu wenig eingesetzt hatte. Jedenfalls jubelten die Medien, „Deutschland ist wieder ein Stürmerland“. Welch ein Aufstieg des Torjägers, wenn es jetzt heißt „nie mehr ohne Füllkrug“. Die anderen im Kader, egal ob Werner, Gnabry oder Berisha kämpfen nur um den Platz neben Füllkrug.

Am Dienstag wird Belgien ein stärkerer Gegner sein, der neue Trainer Domenico Tedesco feierte mit einem 3:0-Sieg in Schweden einen tollen Einstand. Schlotterbeck und Havertz fallen für Flick aus, der an seinem System festhalten und eigentlich gar nicht so viel wechseln will. Andererseits wollte er möglichst viele Kandidaten vorspielen lassen. Mal sehen, ob in Köln die Stimmung so gut ist wie in Mainz und ob Flicks weiterer Wunsch ebenfalls wieder in Erfüllung geht: „Endlich steht mal die Null.“ Die Fans hoffen darauf, dass es heißt „endlich keine Enttäuschung mehr“.

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