Hetzjagd hinterlässt Spuren beim Fußball Europas
von knospepeter
Eine Klagewelle rollt durch Europa. Nein, nicht juristisch gesehen, die Gerichte werden im Sport kaum bemüht. Die Klagen betreffen den Alltag, das Leben mit Corona, unter dem Virus leiden wir alle, aber es scheint, der Sport besonders und dabei steht der Profi-Fußball natürlich im Vordergrund. Die Pandemie hat alles durcheinander gebracht und bescherte den Verbänden und Vereinen ein Terminchaos ohnegleichen. Die Lösung war eine unvergleichliche Hetzjagd, aber die hinterlässt jetzt Spuren in Europas Fußball.
Bei einem Blick auf die Tabellen der stärksten Ligen Europas reibt sich der Fußball-Fan verwundert die Augen. England: Leicester City führt vor Tottenham und Liverpool, Mitfavorit Manchester City ist nur Elfter, Lokalrivale United sogar noch drei Plätze dahinter. Kritiker, die vor allem die Langeweile fürchten, können sich freuen, am vergangenen Wochenende gab es in der Premier League gleich vier verschiedene Tabellenführer! Im Schlagerspiel trennten sich City und Liverpool 1:1, genau so einig waren sich die Trainer Pep Guardiola und Jürgen Klopp hinterher: Diese Hetzjagd geht auf Kosten der Gesundheit der Spieler, wobei die Mehrheit der Vereine einen Wechsel von fünf Spielern abgelehnt hat. Die kleinen Vereine hatten die Großen überstimmt, weil die ja den größeren Kader hätten und eher profitieren würden.
Seltsames auch in Spanien: Keiner der üblichen Verdächtigen vorn, Erster ist Real Sociedad vor dem FC Vilarreal und Atletico Madrid, erst dahinter taucht Real auf und nur Achter ist der FC Barcelona. Dort brennt die Hütte, der Präsident nahm den Hut, im Januar droht sogar Insolvenz, der Wechselwunsch Messis hat den Verein erschüttert. Unruhe auch bei Real, Trainer Zidane sitzt nicht mehr fest im Sattel. Ähnliches in Italien, Serienmeister Juventus Turin guckt nicht nach unten, sondern muss nach oben schauen, dort sitzen der AC Mailand vor Sassuolo Calcio, der SSC Neapel und AS Rom, erst dann Juve. Doch die Schlagzeilen beherrschte zuletzt Lazio Rom, dort ist von Corona-Betrug die Rede (ja, das geht auch). Im Zusammenspiel mit dem Gesundheitsamt sollen die Spieler wie gewünscht positiv oder negativ getestet worden sein, je nachdem, wie sich Lazio einen Vorteil erhofft hatte. Da gibt es Stimmen, die sagen „typisch Italien“.
Es gibt auch bekannte Tabellenführer, Paris St. Germain in Frankreich und Bayern München in der Bundesliga. Doch gerade in der Ligue 1 ist das fast überraschend, Paris begann mit Niederlagen, klagt über eine Masse an Verletzungen und Trainer Thomas Tuchel konnte noch nicht einmal seine beste Mannschaft aufbieten. Aber wenn das B-Team auch vorne ist… Ganz ruhig geht es dagegen in München zu, allein der Streit um den Vertrag von David Alaba trübt die Stimmung und Verletzungen (zuletzt Kimmich) müssen auch verkraftet werden. Doch wichtig ist den Bayern vor allem eins: Sieg in Dortmund und Tabellenführung.
Die Klagewelle rollt, vor allem auch weil Europas Fußball einem Krankenlager gleicht. Paris ist besonders betroffen, aber fast überall gibt es überdimensional Verletzungen, Schuld trägt nach Meinung der Vereine und Trainer die erzwungene Hetzjagd, Spiele ohne Pause. Jürgen Klopp hat Abwehrchef van Dijk verloren, Tuchel vermisste Superstar Neymar, die Muskelverletzungen häufen sich überall. Der Fußball ein einziges Krankenlager, gespielt wird aber trotzdem. Ein Hoch auf die Rotation! Es kommt auf das Fingerspitzengefühl der Coaches an.
Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die Ligen offenen Auges dieser Hetzjagd zugestimmt haben. Im Vorjahr haben die UEFA und ihre Verbände auf Länderspiele verzichtet, damit die Ligen ihre Punktrunden beenden konnten. Schon damals war klar, dass die Länderspiele nachgeholt werden müssen, weil auch die Verbände Geld brauchen und für Fernsehen und Sponsoren präsent sein müssen. Das hätte auch Toni Kroos wissen können, der sich als einer von vielen Spielern über die Hetzjagd beklagt und die Nations League als unsinnig bezeichnet hat. Da beißt sich die Schlange in den Schwanz, der gordische Knoten kann nicht gelöst werden, denn ohne Fußball gibt es auch kein Geld.
Verwunderlich, dass dennoch manche Spieler und ihre Berater so tun, als wäre die Welt, vor allem die Fußball-Welt, in Ordnung und keine Abstriche hinnehmen wollen. David Alaba ist das beste Beispiel, Lionel Messi liegt auf dieser Linie. Wo wollen sie mehr Geld verdienen und sportlich besser dastehen als in München bzw. Barcelona? Alaba träumte von Real oder Barca – kann er sich da verbessern? Für beide gibt es nur zwei Ziele: Manchester City oder Paris St. Germain. Dort blättern Scheichs vielleicht die nötigen Moneten hin, aber ob sich die Erfolge dann wie gewünscht einstellen?
Corona hat die Welt im Griff, die Klagewelle rollt, aber sie wird keineswegs aufhören, wenn das Virus einmal besiegt ist. Die Nachwehen werden auch heftig sein – und es wird geklagt.