Wenn der Fußball sich selbst belügt

von knospepeter

Es gab in diesem Jahr nur einen Tag Pause zwischen Hin- und Rückrunde in der Fußball-Bundesliga. Mittwoch endete die Hinrunde mit dem FC Bayern München als Halbzeitmeister, am Freitag startete die Rückrunde mit dem Spitzenspiel Gladbach gegen Dortmund und das 4:2 der Hausherren war gleich ein Zeichen. Statt Winterpause machte die Bundesliga Schlagzeilen, leider nicht nur sportlich. Es wurde wieder deutlich, dass der Fußball sich manchmal selbst belügt.

Da ist zum Beispiel Hertha BSC Berlin. Mit den Millionen von Investor Lars Windhorst wurde wieder von einer glorreichen Zukunft geträumt. Es wurde zum geflügelten Wort: „Berlin denkt groß, handelt klein“. Man hat sich selbst belügt, denn Geld allein macht nicht glücklich, es muss richtig investiert werden und dafür war Manager Michael Preetz, seit 25 Jahren im Verein, offensichtlich nicht der richtige Mann. Das erkannte auch Jürgen Klinsmann, der den Finger in manche Wunde legte, aber sich auch selbst disqualifizierte. Der starke Mann fehlte, Preetz war es nicht, ebenso nicht Präsident Gugenbauer. Preetz kam eher als der personifizierte Trauerkloß daher, nicht wie ein Mann, der für Elan und Aufschwung steht.

Nun hat der neue starke Mann, CEO Carsten Schmidt, die Reißleine gezogen. Das 1:4 gegen Bremen brachte das Fass zum Überlaufen, die Fan-Demo gegen Michael Preetz war ein endgültiger Fingerzeig. Neben Trainer Bruno Labbadia, in der letzten Saison noch Retter, musste endlich auch der Manager gehen. Platz 14 und gerade mal zwei Punkte vor dem Relegationsplatz ist nicht das, was man sich bei Hertha erträumt hat. Die Lösung fand Schmidt im Verein mit Sportdirektor Arne Friedrich als Berater und Pal Dardai, Trainer der U19. Der Retter von 2015, als die Hertha schon einmal vor dem Abstieg stand, der Ungar die Mannschaft auf Platz 17 von Jos Luhukay übernahm. Bis 2019 war dies die stabilste Phase der Berliner, ohne Abstiegsangst, aber auch ohne Glanz. Das war Michael Preetz zu wenig, das Geld war da, jetzt sollte die Hertha mehr glänzen. Doch statt Licht kam Dunkelheit. Preetz und damit die Hertha belügte sich selbst. Pal Dardai wird bis zum Sommer wieder den Retter spielen, mit Fan-Liebling Andreas „Zecke“ Neuendorf, der zuletzt die U23 trainiert hat, an seiner Seite. Eine Kombination, die wenigstens den Fans gefällt. Für eine erfolgreiche Zukunft sollte Carsten Schmidt ein glückliches Händchen haben.

Aber es geht nicht nur um das Sportliche, der Fußball belügt sich selbst, aber auch die gesamte Öffentlichkeit, wenn er glaubt, dass er in der Corona-Pandemie mit ständigen Tests und Geisterspielen für Sicherheit sorgt, aber ansonsten das Leben normal weitergehen kann. Der Fall Breel Embolo, der wohl ziemlich deutlich gegen die Corona-Regeln verstoßen hat (fraglich, ob die ganze Wahrheit ans Licht kommt), zeigt wieder einmal auf, dass zumindest viele Spieler den Ernst der Situation und das fragile Gebilde rund um den Spielbetrieb nicht erkannt haben. Borussia Mönchengladbach hat dabei auch keine glückliche Figur abgegeben, Manager Max Eberl wird erkannt haben, dass er wohl keine Auszeit nehmen kann. Dann geht es drunter und drüber. Der Fall Embolo muss ähnlich wie der Fall Kalou bei Hertha zum Beginn der Pandemie wieder allen Vereinen deutlich machen, dass auch die Spieler Selbstdisziplin üben müssen. Nicht umsonst hat auch die DFL daran erinnert, dass die Hygieneregeln zu lasch gehabt werden, zum Beispiel beim Jubel auf dem Rasen nach Toren.

Aufstand gegen die Favoriten

Und damit zurück zum Sport. Die Rückrunde begann ja wirklich spektakulär und hatte vor allem einen Sieger: Den FC Bayern München! Am 15. Spieltag hatte der Serienmeister gerade mal zwei Punkte Vorsprung vor Verfolger Leipzig und vier vor Leverkusen, jetzt sind es sieben vor Leipzig und zehn vor Leverkusen! Der Traum von der Spannung im Titelkampf ist geplatzt, es gab einen Aufstand gegen die Favoriten, ausgenommen waren die Bayern, die keine Glanzleistungen bieten, aber solide spielen und notfalls mit ein wenig Glück gewinnen. Oder gibt es Hoffnung, weil die Bayern jetzt gegen Hoffenheim spielen müssen und da im Hinspiel mit 1:4 patzten?

Mit Schlusslicht Schalke hatten die Bayern vielleicht die leichteste Aufgabe, aber der Gegner wehrte sich doch beeindruckend. Die Bayern aber sammelten nicht nur Punkte, sondern weitere Rekorde. Robert Lewandowski netzte mit seinem Tor in den letzten acht Auswärtsspielen immer ein – gab es noch nie, ebenso, dass einer elf Spiele hintereinander gegen den gleichen Verein trifft – Lewandowski tat es gegen Schalke und Joshua Kimmich schloss sich mit einem Rekord an, noch nie trat ein Spieler gegen einen Verein elfmal an und gewann immer – Kimmich schaffte es. Torhüter Manuel Neuer ist jetzt alleiniger Rekordhalter mit 197 Spielen ohne Gegentor, Oliver Kahn (196) hat er endgültig übertroffen.

Die Bayern punkteten in der englischen Woche also voll, ansonsten hatten es die Favoriten schwer, was zur Folge hatte, dass die Bayern ihre Verfolger verloren. Leipzig musste erkennen, dass ein Abstiegskandidat sich wehren kann, Mainz tat es und siegte 3:2 mit Hilfe der Frankfurter Leihgaben da Costa und Kohr, beide waren Vorbild als Kämpfertypen. Die braucht man im Abstiegskampf, da belügt man sich nicht selbst. Leipzig aber scheint wieder das Rückrunden-Dilemma zu ereilen, in der letzten Saison waren sie nach der Vorrunde Erster (Bayern Dritter, vier Punkte zurück) in der Rückrunde war RB nur noch Fünftbester, am Ende Dritter und Bayern Meister, mit 16 Punkten Abstand! Am meisten Boden verlor Dortmund nach dem 2:4 in Gladbach, in drei Spielen ein magerer Punkt gegen Mainz, Absturz auf Rang sieben mit 13 Punkten Rückstand auf München. Zum Favoritensterben trug auch Wolfsburg bei, siegte in Leverkusen mit 1:0 und steht plötzlich auf einem Champions-League-Platz – Rang vier! Wieder im Geschäft ist Frankfurt, wo Rückkehrer Luka Jovic Leben in die Bude brachte und vor allem Filip Kostic neben seinem Freund aufblüht. Platz sechs ist der Lohn, Trainer Adi Hütter jubiliert: „Wir haben einen Lauf, für uns ist alles möglich!“ Nebenbei: Nur Wolfsburg und Frankfurt haben neben den Bayern erst zwei Niederlagen erlitten!

Ein kleines Favoritensterben auch in den Spielen Augsburg – Union (2:1) und Hertha – Bremen (1:4), den Verlierern hatte man mehr zugetraut. Die Sieger aber dürfen doppelt jubeln, denn sie haben sich vom Abstiegskampf etwas entfernt. Dort wartet am Sonntag ein ganz heißes Duell, wenn nämlich Köln (Rang 16, 15 Punkte) Arminia Bielefeld (Rang 15/17 Punkte) erwartet. Kölns Chance auf Luft zum Atmen im Abstiegskampf, vor allem dann, wenn die Hertha in Frankfurt verliert. Die Rückrunde könnte also interessant werden.

Das der Fußball bzw. sich die Vereine sich selbst belügen, könnte auch bei Fenerbahce Instanbul passieren. Dort unterschrieb jetzt Ex-Nationalspieler Mesut Özil, nachdem er bei Arsenal London nur noch auf der Tribüne saß. Özil wird als Heilsbringer gesehen, soll sportlich helfen und sich durch Werbemillionen auch finanziell amortisieren. Wer bisher auf den gewiss talentierten Spieler setzte, wurde allerdings meist enttäuscht. Falsche Hoffnungen musste jetzt auch Chelsea London korrigieren. Eine Vereinsikone und erfolgreicher Nationalspieler ist noch kein erfolgreicher Trainer, deshalb musste Frank Lampard gehen. Rang neun in der Premier League erfüllt die Ansprüche nicht. Als Nachfolger ist Thomas Tuchel im Gespräch, das dürfte die deutschen Asse Timo Werner und Kai Havertz freuen, die zuletzt bei Lampard einen schweren Stand hatten.

Sagt Ihnen übrigens der Name Joachim Löw noch etwas? Ja, den Bundestrainer gibt es noch, er zeigte sich wieder in einem Stadion, sah in Gladbach Dortmunds Untergang. Jetzt will er sich wieder vor Ort informieren, welcher seiner Schützlinge in Form ist, Ende März geht es ja auch für die Nationalmannschaft wieder los. Ob Löw wirklich die richtigen Schlüsse zieht? Was denkt er, wenn er jetzt Thomas Müller sieht? Wir werden es irgendwann erfahren.

Werbung