Thomas Müller Hoffnungsträger für Löw und Flick
von knospepeter
Das hatte sich Joachim Löw sicherlich anders vorgestellt. Bei seinem letzten Pflichtspiel als Bundestrainer auf deutschem Boden gab es keine Gala und keinen glanzvollen Sieg gegen den Nobody Nordmazedonien, sondern ein Gemurkse wie in früheren Zeiten und mit der 1:2-Niederlage eine Blamage, die an das unselige 0:6 gegen Spanien erinnerte. So schloss der Bundestrainer seine Ära mit der ersten Niederlage in 33 Spielen der WM-Qualifikationen ab. Gut, dass Jogi Löw seinen Rücktritt bereits erklärt hat. Die erneuten Rücktrittsforderungen wären vehement ausgefallen.
Aber was war an diesem lauem Abend in Duisburg los mit der DFB-Elf? Frühjahrsmüdigkeit oder Kraftlosigkeit mit dem dritten Spiel in sieben Tagen kann keine Erklärung sein, denn das erging dem Gegner nicht anders. Ein bisschen unterschätzt hat man Nordmazedonien, den 65. der Weltrangliste, sicherlich, auch wenn man wusste, dass es alle gestandene Profis sind. „Die können uns die Hölle heiß machen,“ hatte Löw noch gewarnt. Das war es zwar nicht gerade, aber sie bauten einen dichten Abwehrriegel auf und waren mit ihren Gegenstößen oft gefährlich. Löw hat nur leicht umgestellt, aber das ganze Team geriet gegenüber den ansehnlichen Spielen gegen Island und Rumänien vollkommen aus dem Takt, wirkte ideenlos und hilflos, blutleer und ohne Schwung. Einige waren fast Totalausfälle. Kai Havertz hätte Löw viel früher vom Feld nehmen müssen, Dribbelkünstler wie Musiala oder Younes hätten früher für Schwung sorgen können. Bezeichnend der Lapsus von Timo Werner, der dort weitermachte, was er zuletzt bei Chelsea London gezeigt hatte: Er trifft das Tor nicht mehr. Diesmal traf er nicht mal den Ball richtig, Chancentod statt Torjäger. Die Folge: Statt 2:1 ein 1:2.
Logisch, jetzt werden die Rufe nach den Ausgebooteten besonders laut. Geht es doch nicht ohne Müller, Hummels oder Boateng? Bessere Karten haben auch wieder die verschmähten Reus, Draxler, Brandt oder Kehrer. Aber sie haben eigentlich alle ihre Chancen gehabt und nicht genutzt. Jetzt sind eher die Talente Wirtz und Musiala dran. Aber die Mannschaft braucht vor allem Führungskräfte und da tauchen die Namen Hummels und Müller auf. Vor allem ein Thomas Müller wurde an diesem Abend vermisst. Einer der antreibt, einer der aufmuntert, einer der unvorhergesehene Sachen macht, die oft zu Toren führen. Vermisst wurde natürlich auch ein Torjäger und da befindet sich Müller jetzt in einer Doppelrolle: Als Hoffnungsträger für Jogi Löw und Vereinstrainer Hansi Flick, nachdem bei den Bayern Top-Torjäger Robert Lewandowski verletzt ausfällt. Jetzt ist Thomas Müller gefordert, der beste Vorlagengeber der Bundesliga mit 14 Zuspielen zu Treffern und mit zehn Toren auch der beste deutsche Torjäger nach Lars Stindl (Gladbach/11).
Einen Robert Lewandowski hat Jogi Löw sowieso nicht zur Verfügung und deutsche Mittelstürmer findet man in der Bundesliga kaum. Hätte also Kevin Volland, jetzt in Monaco, wieder eine Chance verdient? Ist Lukas Nmecha (Anderlecht), Torjäger der U21, ein Hoffnungsträger? Der Bundestrainer verhalf sich zuletzt nach dem Rücktritt von Weltmeister Miroslav Klose mit der „falschen Neun“, wollte das Manko spielerisch lösen, was nur zum Teil gelang. Vor der selben Aufgabe steht jetzt aber auch Bayern-Trainer Hansi Flick, der wohl mit Schrecken gesehen hat, dass es auch Gnabry und Sané an Torgefährlichkeit haben vermissen lassen. Wenigstens hat er im Verein und im Schlagerspiel am Samstag in Leipzig mit Coman einen Mann, der als besser und torgefährlicher als Havertz eingeschätzt werden darf. Und er hat Thomas Müller und zur Not auch Maxim Choupo-Moting. Übrigens: Bayern musste wieder erleben, dass die Vereine die Leidtragenden sind, wenn es Verletzungen beim Nationalteam gibt. Ausgerechnet gegen Andorra verletzte sich Lewandowski nachdem er zweimal getroffen hat. Von vier Wochen Pause ist die Rede, der Pole selbst macht in Optimismus und spricht von zwei Wochen. Der Weltfußballer will die Jagd nach Rekorden fortsetzen und natürlich helfen, dass Bayern die großen Ziele erreicht.
Zurück zur Nationalmannschaft. Eine gewisse Euphorie vor der Europameisterschaft ist verflogen, das zarte Pflänzchen der Hoffnung wieder verwelkt, Frust und Skepsis überwiegen. Die EM-Gruppengegner sind ja stärker einzuschätzen, sie heißen im Juni Frankreich, Portugal und Ungarn. Da hat es der Nachfolger von Jogi Löw leichter, am Donnerstag, 2. September, ist Liechtenstein der nächste Gegner in der WM-Qualifikation, bevor es am Sonntag danach gegen Armenien geht. Wieder ein „kleiner“ Gegner, nein, ungeschlagener Tabellenführer der Gruppe J (1:0 in Liechtenstein, 2:0 gegen Island, 3:2 gegen Rumänien). Außerdem: Die These gilt immer mehr, „Kleine“ gibt es nicht mehr, sie ärgern die „Großen“ mit Abwehrriegeln und Konterspiel. Dennoch liegen trotz vieler Probleme die Favoriten nach dem ersten Teil in der WM-Qualifikation vorn, nämlich Portugal, Spanien, Italien, Frankreich, Belgien, Dänemark, Kroatien und England. Nicht dazu zählt die Niederlande (Zweiter hinter der Türkei) und am schlechtesten steht Deutschland da – Dritter hinter Armenien und Nordmazedonien. Wem kann man jetzt zurufen: „Herr X übernehmen Sie!“
In der Frage nach der Zukunft fällt auch der Blick auf die U21, die mit viel Einsatz und Willen den Sprung in die Endrunde der Europameisterschaft geschafft hat. Das 3:0 gegen Ungarn, 1:1 gegen die Niederlande und 0:0 gegen Rumänien waren auch keine Offenbarung. Im Viertelfinale ist jetzt am 31. Mai in Ungarn (Szekesfehervar) Dänemark der Gegner. Ein Gewinner war höchstens Trainer Stefan Kuntz, der ebenfalls als Löw-Nachfolger gehandelt wird. Neben Torjäger Nmecha dürfte aber höchstens Ridle Baku als Kandidat für den Löw-Kader in Frage kommen. Die Zukunft schaut nicht unbedingt sehr hoffnungsvoll aus.