Bei der „Tour der Leiden“ leiden viele

von knospepeter

Das Dutzend wird voll. Ist das ein Grund zum Feiern? Früher wäre die Begeisterung übergeschwappt, heute herrscht Zurückhaltung. Die Tour de France macht zum zwölftem Mal Station in Deutschland. Das größte Radrennen der Welt, angeblich das drittgrößte Sportereignis überhaupt, startet am Samstag, 1. Juli in Düsseldorf, als vierter Startort nach Köln (1965), Frankfurt (1980) und Berlin (1987). Die Stadt am Rhein lässt sich das einige Millionen Euro kosten und hofft auf die entsprechende Werbung weltweit. Diese wird vielleicht geringer ausfallen als erhofft. Schon die erwartete Zuschauerzahl wurde reduziert. Früher war von einer Million Fans die Rede, jetzt werden vorsichtig 700.000 erwartet. Am Ende wird die Stadt vielleicht ein bisschen leiden, weil die Erwartungen nicht erfüllt wurden. Bei der „Tour der Leiden“ werden viele leiden, nicht nur die Fahrer.

Die Fahrer stehen natürlich an erster Stelle. Sie leiden wirklich, wenn sie sich die Berge hinauf quälen, wenn sie in sengender Hitze in die Pedalen treten. Erstmals seit Jahren sind wieder alle Bergmassive im Programm, aber nicht alle „Berge des Leidens“. Doch schwer genug wird die Tour dennoch, sie muss ihrem Namen schließlich gerecht werden. Früher wurden die Fahrer ob ihrer Qualen bedauert und für das Durchstehvermögen bewundert. Die Bewunderung ist weniger geworden, seit bekannt wurde, dass es auch eine „Tour des Dopings“ ist. Da hat die Tour viel an Renommee verloren und die neue Generation der Rad-Profis leidet immer noch unter dem schlechten Ruf. „Wir sind sauber“, betonen die vier deutschen Spitzenfahrer Tony Martin, John Degenkolb, Marcel Kittel und Andre Greipel fast verzweifelt. Wir möchten ihnen ja glauben, aber Zweifel bleiben halt immer. So leiden halt auch die Fans, sie möchten gern unbefangen jubeln, aber die Zweifel…

So wird eben auch der Sieger leiden. Er kann sich nicht unbeschwert über seinen Erfolg freuen, denn gegen die Zweifel kann er nicht anfahren. Ganz im Gegenteil, siegt er überzeugend, werden die Zweifel eher größer. Startet er einen großen Coup, ist die erste Frage, „wie ging das?“. Der Star der letzten Jahre war der Brite Christopher Froome, er holte sich das berühmte Gelbe Trikot 2013, 2015 und 2016 und gilt wieder als Favorit. Ist diese Überlegenheit ohne Doping möglich? Die Zweifler horchten auf, als im Umfeld des Teams Dopingverstöße aufgedeckt wurden. Der Radsportverband will das Doping verbannen, kämpft aber gegen eine Krake. Jeder Fall, der aufgedeckt wird, ist ein Erfolg und ein Verlust zugleich. „Prima, dass der Sünder entdeckt wird“, sagen die einen, „wussten wir es doch, es wird immer noch gedopt“, sagen die anderen. Doping-Leiden ohne Ende.

Leiden werden auch die Fernsehanstalten. Die ARD hat sich nach einer Doping-Pause wieder für den Radsport entschieden, überträgt jeden Tag, auf ARD One sogar ebenso live wie Eurosport. Und dennoch will keine Begeisterung aufkommen, die Zuschauerzahlen erreichen nicht die Quoten früherer Jahre. Was war das für eine Begeisterung, als Jan Ullrich vor 20 Jahren als erster Deutscher die Tour gewann. Heute ist er ein Geächteter, er wurde des Dopings überführt. Ullrich hat nie gestanden, sich immer nur auf die Aussage „ich habe niemanden betrogen“ zurückgezogen. Er wird leiden, wenn die Tour in Deutschland startet und er nicht dabei sein kann.

Leiden müssen auch die zwei Rennställe, die unter deutscher Flagge starten. „Bora hansgrohe“ gehört mit Weltmeister Peter Sagan (Slowakei) und dem Polen Rafal Majka als Top-Zehn-Kandidaten sogar zu den auffälligsten Teams, das „Team Sunweb“ wird eher um diverse Aufmerksamkeiten bei einzelnen Etappen buhlen. Sie aber wünschen sich keine Zweifel in Deutschland, sondern Begeisterung. „Deutschland ist eine Radsport-Nation“, hat Bora-Sportchef Ralph Denk, ein ehemaliger Rennfahrer, erkannt und meint die vielen Freizeitsportler. Aber damit allein lässt sich keine Begeisterung für die Profis auslösen, solange das Damoklesschwert Doping über dem Radsport hängt. Ein Teufelskreis. Viele leiden angesichts der „Tour der Leiden“.

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