Vom Schneckentempo und der letzten Chance
von knospepeter
Der Fußball gibt ja wirklich immer Rätsel auf. Jetzt, zum Saison-Endspurt, wieder einmal in allen deutschen Profiligen. Da geht es um wichtigen Entscheidungen, aber einige Teams bewegen sich nur im Schneckentempo und sind keineswegs rasante Punktesammler. Anderer wiederum glauben an jedem Spieltag an ihre letzte Chance, die aber irgendwann einmal nicht mehr kommen wird. Am Ende steht im schlimmsten Fall der Abstieg oder aber man muss sich das Scheitern im Kampf um Europa eingestehen.
Über allen steht – wieder einmal – der FC Bayern München. Von Schneckentempo kann da keine Rede sein, eher von Rekorden. Welche dann bis zum Saisonende noch fallen werden, ist das einzig spannende beim Titelverteidiger, der weiter auf seine achte Meisterschaft in Folge zusteuert. Eigentlich galten die 101 Tore in einer Saison von 1971/72 zu Gerd Müllers und Franz Beckenbauers Zeiten als unüberbietbar, doch Lewandowski, Müller und Co. haben jetzt die Chance (jetzt 90), wenn sie zwölf Tore in vier Spielen erzielen. Was möglich erscheint, denn nach dem Re-Start liegen sie in den Geisterspielen bei 3,4 Treffern pro Match! Ein Handicap gibt es allerdings, Robert Lewandowski und Thomas Müller fehlen am Samstag gegen Borussia Mönchengladbach, damit fehlen 37 Tore und 24 Vorlagen zu Toren! Und der Pole wird sich schwer tun, den legendären Rekord von Gerd Müller mit 40 Toren zu brechen, Lewandowski liegt derzeit bei 30 Treffern, hat aber zumindest seine persönliche Bestleistung schon eingestellt. Die letzten Gegner nach Gladbach sind Bremen, Freiburg und Wolfsburg, sie können sich also auf einiges gefasst machen. Aber erst einmal wollen die Bayern gegen Frankfurt am Mittwoch ins Pokalfinale einziehen. Gegner würde dann Bundesligist Leverkusen sein oder das Überraschungsteam aus Saarbrücken, das als erster Regionalligist in Halbfinale einzog und schon den Aufstieg in die 3. Liga feiern konnte.
Aber bleiben wir beim Schneckentempo, das bevorzugen die Teams hinter München und Dortmund im Kampf um die Champions League. Leipzig schaffte nur ein Remis gegen Schlusslicht Paderborn, Gladbach und Leverkusen gingen gar ganz leer aus. Für alle also keine Empfehlung für die internationalen Plätze. Gewinner des Tages war der VfL Wolfsburg, der als einzige Mannschaft der Anwärter auf einen Platz für die Europa League siegen konnte.
Besonders eklatant ist das Schneckentempo im Abstiegskampf. Die Eichhörnchenmethode, da mal einen Punkt, dort mal einen Punkt, kann zum Abstieg führen, zum Beispiel für Düsseldorf, mit jetzt schon zehn Unentschieden, davon allein sieben unter den elf Begegnungen vom neuen Trainer Uwe Rösler. Eine Wende sieht anders aus. Aber nachdem Rivale Bremen gar nicht punktet 13 Heimspiele in Folge ohne Sieg!), ist ein Zähler schon eine Verbesserung. Bei Werder kommt wiederum die letzte Chance ins Spiel. Es steht das Gastspiel (zum Glück auswärts!) bei Schlusslicht SC Paderborn an, wenn nicht da, wann wollen die Hanseaten dann siegen? Neuling Paderborn kämpft aber wirklich um seine letzte Chance, eine Niederlage würde den Abstieg bedeuten. Der Abstiegskampf steht sowieso im Mittelpunkt des nächsten Wochenendes, sechs der sieben Mannschaften vom Tabellenende stehen sich direkt gegenüber. Für die Verlierer der Duelle Mainz – Augsburg und Köln – Union Berlin droht danach bald die letzte Chance im Kampf um den Klassenerhalt. Noch können zum Beispiel der FCA und die Union mit 32 Punkten darauf hoffen, dass Düsseldorf an ihnen nicht vorbei zieht, die Fortuna hat nämlich Dortmund und Leipzig als nächste Gegner und käme selbst bei Siegen am Schluss gegen genau die beiden Konkurrenten nur auf 32 Punkte – und hat die viel schlechtere Tordifferenz! Da könnte selbst ein Schneckentempo reichen.
Schneckentempo auch in der 2. Bundesliga
Wenn die Klubs im Oberhaus langsam machen, wollen wohl die Vereine im Unterhaus auch nicht ausscheren. Der Beobachter fragt sich: Will denn keiner aufsteigen? Schneckentempo ist angesagt, Unentschieden sind an der Tagesordnung und so zieht sich wohl der Aufstiegskampf bis zum letzten Spieltag hin. Selbst Tabellenführer Bielefeld passte sich mit einem 1:1 gegen Abstiegskandidat Nürnberg dem Schneckenrennen an, der VfB Stuttgart und Hamburger SV tun sich schwer mit dem Punktesammeln und damit müssen sie auch weiter um den Wiederaufstieg bangen. Wer aber kann der lachende Vierte sein? Heidenheim war auf bestem Weg, verlor aber in Hannover und brachte den Gegner wieder ins Geschäft. So kann es gehen, vor nicht allzu langer Zeit bangte Hannover 96 noch um den Klassenerhalt, jetzt, nach einer Erfolgsserie unter dem neuen Trainer Kenan Kocak wird sogar wieder vom Aufstieg geträumt. Der Coach wehrt allerdings ab: „Wir sollten die Kirche im Dorf lassen.“ Doch vielleicht kommt sie noch, die letzte Chance.
Noch spannender ist das Thema Aufstieg noch eine Liga tiefer, in der 3. Liga. Drei Aufstiegsplätze (mit Relegation) und zehn Kandidaten, wobei die Bayern II außer Konkurrenz mitmischt. Aber derzeit dürfen sich auch Duisburg und Waldhof Mannheim auf den vorderen Plätzen nicht sicher sein. Wie schnell es vom Platz an der Sonne wieder runter gehen kann, zeigte 1860 München, der einstige Chaosklub träumte schon von besseren Zeiten, ist derzeit aber wieder Achter. Doch es kann auch schnell wieder nach oben geben. Von Schneckentempo ist da keine Rede.
Es geht um Geld und Haltung
Auf der ganzen Welt finden Demonstrationen statt für die Bewegung „BlackLivesMatter“, die nach dem gewaltsamen Tod des Amerikaners George Floyd durch Polizisten entstanden ist, um gegen Rassismus zu demonstrieren. Die Bundesliga ist ebenso wie Sportler auf der ganzen Welt mit zahlreichen Aktionen dabei, in Dortmund gingen alle Spieler vor Anpfiff als Symbol auf die Knie, Bayern München startete die Aktion „Rot gegen Rassismus“. Leider wurden diese positive Nachrichten, dass Fußballer Haltung zeigen, überschattet von Meldungen, dass die Jung-Millionäre die Demut, die ihre Liga zeigte, um in Corona-Zeiten dem Beruf nachgehen zu können, nicht verinnerlicht haben. Dortmunder Profis missachteten die Hygeniebestimmungen, ließen privat den Friseur kommen und posteten stolz noch Bilder ohne Gesichtsschutz im Internet. Als die DFL eine (logische) Strafe ankündigte, verstieg sich Jadon Sancho zu dem Kommentar: „Ist wohl ein Witz“. Hier muss die Borussia wohl noch Aufklärungs- und Erziehungsarbeit leisten. So schnell kommt der Fußball nicht aus der Protz-Ecke, die viele Kritiker immer wieder bemühen.
Aber das kennen wir ja, im Fußball geht es vor allem um Geld, nur manchmal leider auch um Haltung. Das Geld steht auch jetzt wieder im Vordergrund, wenn es um die Vergabe der Fernsehrechte geht. Vereine wie Fans werden gespannt auf das Ergebnis des Pokerspiels warten, das am 22. Juni den Klubs präsentiert werden soll. Es geht um die Medienrechte für die Spielzeiten 2021/22 bis 2024/25, wobei sieben verschiedene Rechtepakete aufgelegt wurden. Vor allem Platzhirsch Sky muss um die Rechte für das Pay-TV bangen. Es wird wohl davon abhängen, ob der Gigant Amazon Interesse hat und viel Geld investiert oder nicht. Aus dem letzten Vierjahresvertrag hatte die DFL 4,64 Milliarden Euro erzielt, 5,2 waren jetzt das Wunschziel, allerdings vor Corona. Abschläge müssen wohl hingenommen werden.
Es wird sich zeigen, ob auch beim Geld die DFL ein bisschen Demut zeigt und lieber im Sinne der Fans agiert, anstatt für mehr Geld eine Zersplitterung der Übertragungen mit noch mehr Anbietern vorzunehmen. Sowohl harte Fans als auch gelegentliche Interessenten könnten sich abwenden, wenn die Rechtepakete unübersichtlich und zu teuer werden. Es reichte jetzt schon mit Free-TV, Sky und DAZN. Für Sky sind die Rechte elementar, nachdem der Sender bei der Champions League leer ausgegangen war. Nachdem Sky als langjähriger Partner der Bundesliga in der letzten Ratenzahlung entgegenkam, sollte man annehmen, dass der Sender einen Bonus besitzt. Könnte ja sein, dass Haltung mal mehr Wert ist als Geld. Oder im Fußball eher nicht?